Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Angemessenheitsprüfung. Abwarten auf entscheidungserhebliche Leitentscheidung keine inaktive Zeit. faktische Aussetzung bis zur Rechtskraft der Leitentscheidung. Zustimmung der Beteiligten nicht erforderlich. sozialgerichtliches Verfahren
Leitsatz (amtlich)
Das Abwarten auf eine entscheidungserhebliche Leitentscheidung gilt als sog aktive Bearbeitungszeit mit der Folge, dass ein Verfahren trotz einer Verfahrenslaufzeit von 2 Jahren und 8 Monaten, regelmäßiger Wiedervorlagen zu Verfahrensbeginn sowie eigenständiger Ermittlungen und nachfolgender Verfügung ins Sitzungsfach keine gerichtliche Inaktivität feststellbar ist (Anschluss an BSG vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 4, RdNr 47).
Das Abwarten auf eine Leitentscheidung kann dabei auch ohne förmliche Aussetzung oder einen Ruhensbeschluss vom Gestaltungsspielraum des Gerichts gedeckt sein, wenn für das Entschädigungsgericht hinreichend erkennbar ist, dass das Gericht auf eine Leitentscheidung gewartet und das Verfahren aus diesem Grund nicht gefördert hat (Anschluss an BVerwG vom 20.2.2018 - 5 B 13/17 D = juris RdNr 6).
Orientierungssatz
1. Aus Sicht des Senats erübrigt sich damit eine Auseinandersetzung mit der Rechtsauffassung des BFH (vgl BFH vom 2.12.2015 - X K 6/14 = BFH/NV 2016, 755, RdNr 40 f), wonach, sofern die Beteiligten auf gerichtliche Anfrage einem Ruhen des Verfahrens mit Rücksicht auf ein bei dem BFH anhängiges Revisionsverfahren in einer parallelen Angelegenheit nicht zustimmen - vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls im Allgemeinen -, davon ausgegangen werden könne, dass für die Verfahrensverzögerung in dieser Zeitspanne keine Entschädigung in Geld zu gewähren sei und die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer nach § 198 Abs 4 S 1 GVG ausreichend sei.
2. Eine Überlänge des sozialgerichtlichen Verfahrens kann nach Abwarten auf eine entscheidungserhebliche Leitentscheidung nicht eintreten, wenn das Gericht nach Eintritt der Rechtskraft der Leitentscheidung durch Zurückweisung einer dagegen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde unmittelbar das Verfahren terminiert und einer Entscheidung zuführt.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer des vor dem Sozialgericht Schleswig geführten Klageverfahrens S 9 As 439/14 (im Folgenden: Ausgangsverfahren).
Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die Höhe der bei dem Kläger zu berücksichtigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid vom 10. Februar 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2014 erkannte der beklagte Kreis N. im Rahmen der Leistungsgewährung für den Zeitraum 1. März 2014 bis 31. August 2014 anstelle der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft in Höhe von 350,00 EUR Unterkunftskosten in Höhe von 282,00 EUR zuzüglich der tatsächlichen Heiz- und Warmwasserkosten an.
Am 1. September 2014 erhob der Kläger bei dem Sozialgericht Schleswig Klage. Zur Klagbegründung trug der Prozessbevollmächtigte umfangreich zur Frage eines schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten im Kreis N. vor. Der Klage trat der beklagte Kreis N. mit Schreiben vom 6. November 2014, eingegangen am 12. November 2014, unter Hinweis auf seinen ausführlichen Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2014 im Parallelverfahren des Klägers, S 9 AS 269/14 (vgl. Entschädigungsklage L 12 SF 47/17 EK), sowie ausstehender “Grundsatzentscheidungen„ des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts ([LSG], L 3 AS 126/13, L 13 AS 184 - 187/13 und L 3 AS 17/14) entgegen. Den Schriftsatz übersandte das Gericht am 14. November 2014 an den Kläger zur Stellungnahme und regte an, das Verfahren bis zur Entscheidung des LSG über die genannten Verfahren ruhend zu stellen. Mit Schriftsatz vom 21. November 2014 sprach der Prozessbevollmächtigte sich gegen ein Ruhen der Verfahren bis zur Entscheidung des 3. Senats des LSG aus. Der beklagte Kreis N. erklärte sich mit Schreiben vom 20. November 2014, eingegangen am 25. November 2014, sowohl im Ausgangsverfahren als auch im Parallelverfahren S 9 AS 269/14 mit dem Ruhen des Verfahrens einverstanden.
Nachdem die Akten des Ausgangsverfahrens zusammen mit dem Parallelverfahren S 9 AS 269/14 am 7. Januar 2015 und erneut am 26. Mai 2015 vorgelegt wurden und auf Erkenntnisse aus den Berufungsverfahren noch nicht zurückgegriffen werden konnte, bemühte das Gericht sich ab Juni 2015 selbständig um die Ermittlung der relevanten Grundlagendaten. Mit Verfügung vom 1. Juni 2015 bat es den beklagten Kreis N. um Hergabe des für den hier streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen Konzepts einschließlich der relevanten Daten. Mi...