Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergütung vertragsärztlicher Leistungen. Honorarrückforderung nach Neuberechnung psychotherapeutischer Vergütungsanteile. Hinweispflichten der Kassenärztlichen Vereinigung. Ausschluss der Honorarrückforderung wegen Zeitablaufs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Honorarrückforderung wegen Neuberechnung der Vergütung psychotherapeutischer Leistungen.

2. Die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) ist verpflichtet, die Vertragsärzte auf Ungewissheiten in der Vergütung frühzeitig hinzuweisen. Der Umfang der Hinweispflicht richtet sich nach den Umständen des Falles, insbesondere der Konkretisierung der Kenntnisse der KV und dem wirtschaftlichen Ausmaß einer späteren Honorarberichtigung. Ist die Höhe der späteren Honorarrückforderung noch von weiteren Verhandlungen abhängig, muss die KÄV nicht den höchsten denkbaren Rückforderungsbetrag als "worst case" benennen. "/≫

3. Der Anspruch auf eine Honorarrückforderung unterliegt einem Zeitablauf von vier Jahren. Dieser Fristablauf kann durch eine formelle oder materielle Verwaltungsentscheidung gehemmt sein.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 18. Mai 2011 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 7.562,54 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Honorarrückforderungen für die Quartale I/2000 bis IV/2003 wegen der Neuberechnung der Vergütungen für psychotherapeutische Leistungen.

Der Kläger ist als Arzt für Pathologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. In den streitgegenständlichen Quartalen I/2000 bis IV/2003 arbeitete er in einer Gemeinschaftspraxis mit einem Praxispartner.

Ab dem Quartal I/2000 enthielten die Honorarabrechnungen der zur vertragsärztlichen Versorgung in Schleswig-Holstein zugelassenen Vertragsärzte folgenden Hinweis:

“Diese Honorarabrechnung steht unter dem Vorbehalt, dass aufgrund einer für Schleswig-Holstein verbindlichen letztinstanzlichen Gerichtsentscheidung eine Neuberechnung der psychotherapeutischen Vergütungsanteile mit belastenden Auswirkungen auf die Punktwerte anderer Arztgruppen durchzuführen ist„.

Hintergrund hierfür war die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20. Januar 1999 (B 6 KA 46/97 R, SozR 3-2500 § 85 Nr. 29), in der zunächst der Mindestpunktwert für die Gesprächsleistungen der Psychotherapeuten und ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte auf 10 Pfennig festgesetzt worden war. Mit weiterem Urteil vom 28. Januar 2004 (B 6 KA 52/03 R, SozR 4-2500 § 85 Nr. 8) hob das BSG zwischenzeitlich erfolgte Berechnungsvorgaben des Bewertungsausschusses (BWA) für die Neubewertung der psychotherapeutischen Leistungen auf und machte neue Vorgaben für die Berechnungen ab dem Quartal I/2000. Die Neuberechnung hatte zur Folge, dass die Punktwerte für die Gesprächsleistungen der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte und Psychotherapeuten angehoben werden mussten; der Nachvergütungsbetrag belief sich ab dem Jahr 2000 für Schleswig-Holstein auf insgesamt 12,47 Millionen EUR. Hiervon übernahmen die gesetzlichen Krankenkassen ungefähr die Hälfte, so dass ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von 5,86 Millionen EUR bei der Beklagten verblieb.

Diese legte den Nachvergütungsbetrag anteilig auf die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Fachärzte um. Hierzu nahm sie bei denjenigen Vertragsärzten, die noch unter derselben Abrechnungsnummer tätig waren, ab der Honorarabrechnung IV/2005 Einbehalte in Höhe von jeweils 1/8 der geforderten Rückzahlungssumme je Quartal vor. Diejenigen Fachärzte, die nicht mehr unter derselben Abrechnungsnummer arbeiteten, forderte die Beklagte zur Rückzahlung auf. Die anteilsmäßige Aufteilung des Nachvergütungsbetrages erfolgte dabei in der Weise, dass die Beklagte die kontingentrelevanten Honorare der Vertragsarztpraxen für den Zeitraum 2000 bis 2003 ermittelte und addierte. Sämtliche nichtkontingentrelevanten Leistungen - dazu zählten bestimmte Kosten, Präventions- und Notdienstleistungen - ließ sie dabei unberücksichtigt. Die kontingentrelevanten Honorare sämtlicher Fachärzte des vorgenannten Zeitraumes setzte die Beklagte in Beziehung zu dem aufzubringenden Defizitbetrag in Höhe von 5,86 Millionen EUR. Es errechnete sich ein prozentualer Faktor von 0,47575779 %. Mit diesem Prozentfaktor belastete die Beklagte die Honorare der Vertragsärzte ab IV/2005 bzw. forderte sie entsprechend als Honoraranteile von den Ärzten.

Die Beklagte forderte den Kläger zunächst mit Schreiben vom 2. Mai 2006 und dann mit Bescheid vom 8. November 2006 zu einer Gesamthonorarrückforderung für die Gemeinschaftspraxis in Höhe von 15.456,65 EUR auf, wobei der auf den Kläger entfallende Nettorückforderungsbetrag 7.562,54 EUR betrug. Dagegen legte der Kläger am 1. Dezember 2006 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, die Beklagte sei ihrer Hinweispflicht auf bekannte Ungewissheiten bei der Honorarverteilung nicht hinreichend nachgekommen. Dies hätte...

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