Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Brustangleichungsoperation. Beurteilung der Entstellung einer Jugendlichen. psychische Erkrankung. Kürzung der Arztrechnung im Rahmen des Kostenerstattungsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Beurteilung der Entstellung einer Jugendlichen im Hinblick auf eine aus diesem Grund begehrte Brustangleichungsoperation ist nicht nur auf den bekleideten Zustand abzustellen.
2. Auch eine psychische Erkrankung kann einen Anspruch auf eine Brustangleichungsoperation begründen, wenn diese nur dadurch erfolgreich therapiert werden kann im Sinne einer "ultima ratio" der Behandlungsmöglichkeiten.
3. Eine im Rahmen des Kostenerstattungsanspruchs eingereichte Arztrechnung ist bei den einzelnen Gebührenziffern nach GOÄ auf den 2, 3-fachen Satz zu kürzen, wenn diese für eine höhere Abrechnung eine Begründung enthält. Hierauf ist der Erstattungsanspruch zu begrenzen.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. Oktober 2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 2. Januar 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 2012 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Kosten für die durchgeführte Brustangleichungsoperation in Höhe von 2.772,66 EUR zu erstatten.
Die weitere Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte hat 2/3 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Kostenerstattung für eine Brustangleichungsoperation.
Die 1997 geborene Klägerin ist im Rahmen der Familienversicherung bei der Beklagten krankenversichert. Am 20. September 2011 beantragte sie die Übernahme der Kosten für eine angleichende Mammareduktionsplastik unter Vorlage eines Berichtes des Facharztes für Plastische und Ästhetische Chirurgie Dr. P..., in dem eine angeborene Brustfehlbildung mit Anisomastie und tubulärer Form beschrieben wird. Die Klägerin habe seit der Pubertät eine immer weiter zunehmende Mamma-Asymmetrie zugunsten der rechten Seite entwickelt. Die rechte Brust wiege 850 g, die linke 80 g. Empfohlen wurde eine Brustkorrektur beidseits zur Formkorrektur und Symmetrieschaffung.
Die Beklagte holte zur Überprüfung der medizinischen Operationsindikation ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Nord ein. Der Gutachter Dr. M... sah die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht als erfüllt an.
Mit Bescheid vom 2. Januar 2012 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und das MDK-Gutachten ab. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 17. Januar 2012 Widerspruch ein. Am 7. Juni 2012 reichte sie eine Rechnung der Dres. B... und P... über 3.640,00 EUR für eine am 2. April 2012 durchgeführte Angleichungsoperation zur Akte. Nach Einholung eines weiteren Gutachtens des MDK wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 2012 zurück.
Daraufhin hat die Klägerin am 8. August 2012 Klage beim Sozialgericht Kiel erhoben, mit der sie die Erstattung von insgesamt 4.420,00 EUR geltend gemacht hat. Sie hat eine Quittung des behandelnden Anästhesisten Braun über 780,00 EUR zur Akte gereicht.
In einem persönlich gehaltenen Schreiben an das Sozialgericht hat die Klägerin ausgeführt:
“Als ich 12 war fingen meine Brüste an zu wachsen. Zuerst sah alles ganz normal aus doch nach einer Zeit hörte meine linke Brust auf zu wachsen und die rechte wurde immer größer. Ich fühlte mich immer unwohler in meiner Haut. Im Sportunterricht hatte ich deshalb viele Fehlstunden und mein sozialer Umgang wurde Tag für Tag weniger. Nach einer Zeit haben meine Mitschüler und andere Freunde gemerkt das meine Brüste unterschiedlich groß sind. Viele haben mit den Finger auf mich gezeigt, mich ausgelacht, haben mich immer öfters als hässlich, Krüppel, Mistgeburt und Fehler der Natur genannt sowie andere schlimme Beleidigung und das ging so lange bis sie auch später anfingen auf mich einzuprügeln. Die Mauer die ich schon lange um mich gebaut hatte wurde immer größer sodass keiner mehr an mich rankam. Der ganze Druck der auf mir saß wurde so belastbar das ich mit dem Ritzen anfing. Jede weitere Narbe wurde tiefer und größer. Als ich selbst dem Schmerz vom Ritzen nicht mehr gefühlt hatte begann ich Angst davor zu haben zu sterben doch am Ritzen hat es auch nichts geändert. Der Alkohol hat nicht lange auf sich warten lassen und ich verlor die Kontrolle immer weiter über mich. Statt 1, 2 Bierchen wurden 1 - 2 Wodka Flaschen draus, doch meiner Mutter hatte ich das nie erzählt. Ich habe mich immer wieder gefragt warum mit sowas passieren muss. Und die Schulbesuche wurden auch immer weniger. Mein Selbstvertrauen wurde immer weniger und öfters habe ich geweint, weil ich das Gefühl hatte ein nichts zu sein. Danach habe ich mein damaligen Ex-Freund kennengelernt. Er hat mich dazu gezwungen mich auszuziehen um Bilder von meinen Brüsten zu machen und sie dann rum...