Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen unter Berücksichtigung der Entgeltgeringfügigkeitsgrenze und der Gleitzonenformel
Orientierungssatz
1. Bei versicherungspflichtig Beschäftigten ist der Beitragsbemessung regelmäßig das tatsächliche Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Die Entgeltgeringfügigkeitsgrenze nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB 4 wurde mit Wirkung zum 1. 4. 2003 auf 400.- €. angehoben. Personen, die am 31. 3. 2003 in einer mehr als geringfügigen Beschäftigung versicherungspflichtig waren, welche die Merkmale einer geringfügigen Beschäftigung in der ab dem 1. 4. 2003 geltenden Fassung von § 8 SGB 4 erfüllt, bleiben in dieser Beschäftigung versicherungspflichtig.
2. Die Gleitzeitformel des § 20 Abs. 2 SGB 4 ist auf monatliche Arbeitsentgelte von weniger als 400,01 €. nicht anwendbar, weil eine planwidrige Regelungslücke insoweit ausgeschlossen ist. Die gesetzliche Regelung ist verfassungsgemäß.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 11. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 1.837,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte vom Kläger zu Recht Sozialversicherungsbeiträge nachfordern kann.
Der Kläger betrieb eine Arztpraxis für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in B.. Die Beklagte führte dort am 25. Juli 2006 eine Betriebsprüfung durch. Hierbei wurde auch die Arbeitnehmerin des Klägers E. S. (Beigeladene zu 1) geprüft. Diese war im Prüfzeitraum vom 1. April 2003 bis zum 31. Dezember 2005 mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 15 Stunden und einem monatlichen Entgelt von 317,00 EUR beim Kläger beschäftigt. In der Schlussbesprechung am 25. Juli 2006 bemängelte die Beklagte, dass für die Beigeladene zu 1) die Regelungen über die Gleitzone angewandt worden seien, obwohl sie mit ihrem monatlichen Entgelt regelmäßig unter 400,00 EUR gelegen habe.
Mit Bescheid vom 15. September 2006 stellte die Beklagte fest, dass für die Beigeladene zu 1) im oben genannten Zeitraum irrtümlich die Regelung über die Gleitzeit angewandt worden sei und forderte insgesamt Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.836,68 EUR (1.748,04 EUR zuzüglich Säumniszuschläge) vom Kläger nach. Der Kläger legte hiergegen am 11. Oktober 2006 Widerspruch ein und machte geltend, dass die Gleitzonenregelung für Arbeitnehmer anzuwenden sei, die ein Bruttogehalt unter 800,00 EUR erzielen würden. Der Gesetzgeber habe mit der Änderung des Gesetzes über die Geringverdiener mit der Gleitzone bis 800,00 EUR die sozial Schwachen schützen wollen. Dies müsse auch für Arbeitnehmer mit einem Verdienst unter 400,00 EUR gelten. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte aus, bei Beschäftigungen, die nach dem am 31. März 2003 geltenden Recht versicherungspflichtig waren, aufgrund der Änderung der Regelungen zu den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen seit dem 1. April 2003 zwar geringfügig und somit versicherungsfrei wären, jedoch nach dem Übergangsgeld versicherungspflichtig bleiben, handele es sich nicht um Gleitzonenfälle. Unerheblich sei, ob es sich um eine Beschäftigung gehandelt habe, die bis zum 31. März 2003 wegen Überschreitens der Zeit- oder Arbeitsentgeltgrenzen versicherungspflichtig war.
Hiergegen hat der Kläger am 18. Januar 2007 Klage vor dem Sozialgericht Lübeck erhoben und vorgetragen, dass die entstandene Ungerechtigkeit vom Gesetzgeber nicht gewollt sein könne. Wenn Arbeitnehmer innerhalb der Gleitzone nur einen ermäßigten Arbeitnehmeranteil an den Sozialversicherungsbeiträgen zu zahlen hätten, so müsse dies auch für Arbeitnehmer mit einem Verdienst unter 400,00 EUR gelten.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2006 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide Bezug genommen.
Mit Urteil vom 11. Juni 2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Beigeladene zu 1) beim Kläger im streitigen Zeitraum in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe, obwohl ihr durchschnittliches monatliches Arbeitsentgelt nur 317,00 EUR betragen habe. Trotz der Anhebung der Entgeltgeringfügigkeitsgrenze nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV zum 1. April 2003 sei die Beigeladene zu 1) versicherungspflichtig (§ 434i SGB III, § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB V, § 229 Abs. 6 Satz 1 SGB VI, § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI) geblieben. Entgegen der Auffassung des Klägers seien die beitragspflichtigen Einnahmen der Beigeladenen zu 1) und die daraus zu berechnenden Sozialversicherungsbeiträge nicht nach der Gleitzonenformel zu bemessen. Abweichend von einer Beitragsbemessung nach dem tatsächlichen Entgelt würden bei versicherungspflichtigen Beschäftigten ...