Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Abrechnungsstörung im Verhältnis von Kassenärztlicher Vereinigung (KV) und Krankenkasse in Form fälschlich abgerechneter Grenzgängerbehandlung. sachlich-rechnerische Berichtigung durch KV gegenüber Vertragsarzt. Unerheblichkeit eines Verstoßes gegen die Karteneinziehungspflicht der Krankenkasse- keine gesetzliche Sanktion
Orientierungssatz
1. Den aus fälschlich abgerechneten Grenzgängerbehandlungen folgenden Abrechnungsstörungen im Verhältnis von Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenkasse ist im Wege der Korrektur dieser Abrechnungen gegenüber den Vertragsärzten durch die Kassenärztliche Vereinigung auf Veranlassung der Krankenkasse zu begegnen (vgl Urteil des BSG vom 26.5.2021 - B 6 KA 10/20 R).
2. Dies gilt auch, wenn die Krankenkasse gegen die Einziehungspflicht bezüglich der Krankenversicherungskarte (ab dem 29.12.2015: der elektronischen Gesundheitskarte) gem § 291 Abs 4 S 1 SGB 5 in den vom 30.07.2010 bis zum 31.10.2016 geltenden Fassungen verstoßen hat.
3. An die Verletzung der aus § 291 Abs 4 S 1 SGB 5 in den vorgenannten Fassungen folgenden Karteneinziehungspflicht knüpft das Gesetz keine Sanktion gegenüber der pflichtwidrig handelnden Krankenkasse.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 21. August 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 230.021 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin die an Vertragsärzte im Wege der Einzelleistungsabrechnung für die Behandlung von im Ausland krankenversicherten Personen gezahlte Vergütung zu erstatten.
In den Quartalen I/2009 bis II/2016 behandelten im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Klägerin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Ärzte (auch) Patienten, die aufgrund des Umstandes, dass sie in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) - in den allermeisten Fällen: in Dänemark - erwerbstätig waren, Mitglied des Krankenversicherungssystems dieses Mitgliedstaates waren, die aber als sog Grenzgänger ihren Wohnsitz in Schleswig-Holstein behalten und die Beklagte als sog aushelfende Krankenkasse gewählt hatten (regelmäßig, weil die Grenzgänger zuvor in Zeiten, in denen sie keiner Erwerbstätigkeit in dem anderen EU-Staat nachgegangen waren, bereits bei der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) pflichtversichert gewesen waren). Die aushelfende Krankenkasse - hier: die Beklagte - stellte für diese Grenzgänger sicher, dass diese in der Bundesrepublik Deutschland Krankenversicherungsleistungen, insbesondere in Gestalt ärztlicher Behandlung, erhielten. Die tatsächliche Abwicklung der Inanspruchnahme von Vertragsärzten durch Grenzgänger, deren aushelfende Krankenkasse die Beklagte war, erfolgte in den Quartalen I/2009 bis II/2016 in der Weise, dass diese Grenzgänger anlässlich des Arztbesuches eine ihnen von der Beklagten ausgestellte besondere Krankenversicherungskarte vorlegten, auf deren Chip der Status der Karteninhaber als Grenzgänger - sog Status 7 - gespeichert und für die Ärzte somit kenntlich gemacht war (im Falle der bei Grenzgängern typischen zeitnahen Änderung ihres Versichertenstatus - die zB durch Beendigung der Saisonarbeit oder projektbezogenen Tätigkeit im Ausland eintreten kann - erhalten die Grenzgänger, die dadurch wieder als Mitglied der Beklagten in der GKV versichert sind, eine „reguläre“ elektronische Gesundheitskarte, auf der insbesondere die in § 291 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) genannten Daten gespeichert sind). Die behandelnden Ärzte rechneten ihre für Grenzgänger erbrachten Leistungen gegenüber der Klägerin im Wege des Einzelleistungsnachweises ab und diese zahlte den Ärzten das für diese Behandlungen ausgelöste Honorar aus der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV).
Regelmäßig nach Ablauf von drei Quartalen meldete die Klägerin gegenüber der Beklagten die in einem bestimmten Quartal vorgenommenen Behandlungen von Grenzgängern, die die Beklagte als aushelfende Krankenkasse bestimmt hatten, sowie die für diese Behandlungen an die in Anspruch genommenen Vertragsärzte gezahlten Vergütungen und forderte die Beklagte zur Erstattung dieser Vergütungsbeträge auf. Die Beklagte überprüfte den Versicherungsstatus der in der Meldung genannten Grenzgänger anhand ihres Versichertenverzeichnisses und gelangte dabei regelmäßig zu dem Ergebnis, dass ein geringer Anteil der gemeldeten Grenzgänger - in der Regel 6 bis 7 % - im Zeitpunkt der Behandlung als originäre Mitglieder in der deutschen GKV versichert gewesen waren, obgleich sie bei den in Anspruch genommenen Vertragsärzten die besondere, ihren Grenzgängerstatus ausweisende Gesundheitskarte (Status 7-Karte) vorgelegt hatten. Bezüglich der für diese Behandlungsfälle von der Klä...