Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Bewilligung von Pflegegeld

 

Orientierungssatz

Zur rückwirkenden Zuerkennung von Pflegegeld bei in der Vergangenheit nicht erfolgter Sicherstellung des Pflegebedarfs.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung.

Bei ... 1967 geborenen Klägerin wurde 1995 ein Prader-Willi-Syndrom (PWS) mit hochgradiger Adipositas, Minderwuchs und bestimmten Verhaltensstörungen diagnostiziert. Die Klägerin ist als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 100 anerkannt und steht u. a. für den Aufgabenkreis Vermögensangelegenheiten, Gesundheitsvorsorge und Behördenangelegenheiten unter Betreuung. Sie wohnt bisher (der Mietvertrag ist durch den Vermieter fristlos gekündigt worden) im 2. Obergeschoss eines Hochhauses, das mit Fahrstuhl erreichbar ist, in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, die nicht behindertengerecht ausgestattet ist.

Erstmals am 24. September 1996 beantragte der Betreuer der Klägerin für sie Pflegegeld. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Schleswig-Holstein (MDK). Der Arzt Dr. K führte in dem Gutachten vom 24. April 1997 - erstellt nach einem Hausbesuch am 26. März 1997 - zu der pflegebegründenden Vorgeschichte aus, dass bei der Klägerin seit dem Kindesalter starkes Übergewicht sowie eine insgesamt retardierte Entwicklung vorliege. Sie müsse strenge Diät einhalten. Es bestehe ein starkes Lipo- und Lymphödem der Beine. Der Gutachter ermittelte Pflegebedürftigkeit im Bereich der Körperpflege von 30 Minuten, bei der Ernährung von 15 Minuten, bei der Mobilität von 20 Minuten und bei der hauswirtschaftlichen Versorgung von 290 Minuten und führte aus, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe I vorlägen. Ergänzend heißt es in dem Gutachten, dass die Klägerin sich derzeit in einem reduzierten Allgemeinzustand mit Neigung zu Fehlhandlungen befinde, die zu Eigen- und Fremdgefährdung führen könnten. Eine Nachuntersuchung solle in sechs Monaten erfolgen, da der weitere Verlauf zurzeit noch nicht übersehbar sei.

Gestützt auf dieses Gutachten bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen nach der Pflegestufe I. Nachdem die Klägerin die Umwandlung des gewährten Pflegegeldes in Pflegesachleistungen ab 1. September 1997 beantragt hatte, teilte die Beklagte ihr mit Schreiben vom 7. August 1997 mit, dass ihr ab 1. September 1997 zur Unterstützung der Betreuung und Versorgung häusliche Pflegehilfe durch einen Vertragspartner der Beklagten zur Verfügung gestellt werde. Nachdem der MDK-Gutachter in seinem Gutachten vom März 1997 eine Nachuntersuchung im September 1997 empfohlen habe, ergehe diese Bewilligung zunächst befristet, bis das Ergebnis der erneuten Begutachtung vorliege. Die häusliche Pflegehilfe umfasse die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung nach der Pflegestufe I.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, dass die Einstufung in die Pflegestufe I fehlerhaft sei. Bei ihr bestehe ein Pflegeaufwand, der die Voraussetzungen der Pflegestufe II erfülle.

Die Beklagte veranlasste eine erneute Begutachtung durch den MDK. Der Arzt Dr. Kl führte in seinem Gutachten vom 3. November 1997 aus, dass im Bereich der Grundpflege lediglich ein Hilfebedarf beim Waschen (Teilwäsche Oberkörper) bestehe. Dr. Kl schätzte den erforderlichen Zeitaufwand auf 5 Minuten pro Tag ein.

Mit Anhörungsschreiben vom 4. November 1997 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf Höherstufung in die Pflegestufe II abzulehnen und die gewährten Leistungen nach der Pflegestufe I zum 30. November 1997 zu beenden. Dieser Absicht widersprach die Klägerin, wobei sie erneut erheblichen Pflegebedarf geltend machte. Nachdem der MDK (Dr. P) das Gutachten des Dr. Kl inhaltlich bestätigt hatte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 6. Mai 1998 ihre Entscheidung über die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe I gemäß § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab 1. Juni 1998 auf. Dieser Bescheid, von dem auch der Betreuer der Klägerin Kenntnis erhielt, ist unanfechtbar geworden.

Am 29. Januar 1999 stellte die Klägerin durch ihren Betreuer wiederum einen Antrag auf Pflegegeld. Die Beklagte holte hierzu ein erneutes MDK-Gutachten ein. Die Gutachterin H ermittelte in dem Gutachten vom 8. März 1999 einen Grundpflegebedarf von 22 Minuten (Körperpflege und Mobilität jeweils 11 Minuten) sowie einen Zeitaufwand für Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung von 210 Minuten. Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den erneuten Antrag auf Gewährung von Pflegegeld mit der Begründung ab, dass bei der Klägerin keine Pflegebedürftigkeit im Sinne der Bestimmungen des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) vorliege.

Hiergegen legte der Betreuer der Klägerin mit Schreiben vom 6. Juli 1999 Widerspruch ein. Er führte aus, dass die Klägerin auf Grund ihrer Behinderung nicht in der Lage sei, gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Ablauf des tägliche...

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