Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährung von Ansprüchen aufgrund unfallbedingter Spätfolgen bei einem Abfindungsvergleich, hier: Ossifikationsrezidiv ca. 30 Jahre nach dem Verkehrsunfall

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für den Verjährungsbeginn von unfallbedingten Spätschäden ist der Zeitpunkt maßgebend, ab dem sich die Verletzungsfolge als derart naheliegend darstellt, dass sie im Rahmen einer Feststellungsklage hätte geltend gemacht werden können. Die Erkennbarkeit der Verletzungsfolgen beurteilt sich dabei nicht nach der subjektiven Sicht des Geschädigten, sondern allein nach objektiven Gesichtspunkten, d. h. nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines medizinisch Sachkundigen.

2. Das Risiko einer Rezidivbildung von hypertrophen Ossifikationen nach einer operativen Materialentfernung im Oberschenkel ist spätestens nach der erstmaligen operativen Resektion der Ossifikation erkennbar, wenn in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf das "hohe Risiko einer Rezidivbildung" hingewiesen wurde. Bei einer unfallbedingt erfolgten operativen Verblockung der HWS-Fraktur muss der Geschädigte immer mit dem Spätfolgenrisiko einer Arthrose im Operationsbereich rechnen.

3. Die Zahlung aufgrund eines Abfindungsvergleichs stellt ein deklaratorisches Anerkenntnis i.S.v. § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB dar mit der Folge des Neubeginns der Verjährung.

4. Ein Schmerzensgeld-Abfindungsvergleich unter Vorbehalt der materiellen Ansprüche für evtl. Spätschäden hat für die Verjährung der Ansprüche keine Bedeutung. Der Rechtsanwalt des Geschädigten muss - auch zur Vermeidung einer eigenen Haftung - dafür Sorge tragen, dass künftige Ansprüche des Geschädigten nicht in die Verjährungsfalle laufen. Dazu kann er entweder einen Verjährungsverzicht oder aber ein sogenanntes "titelersetzendes Anerkenntnis" in den Abfindungsvergleich aufnehmen lassen. Anders als beim Verjährungsverzicht werden bei einem titelersetzenden Anerkenntnis die Ansprüche zwar 30 Jahre lang offengehalten, der weitere Schaden wäre allerdings spätestens 3 Jahre nach dem Schluss des Jahres, in dem der Geschädigte Kenntnis davon erlangt hat, geltend zu machen.

 

Normenkette

BGB § 212 Abs. 1 Nr. 1 vom 31.12.2001, §§ 823, 852 Abs. 1; PflVG § 3 Nr. 1; StVG §§ 7, 14

 

Tenor

I. Die Klägerin wird gemäß § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass die Berufung gegen das angefochtene Urteil offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung aus den nachfolgenden Gründen ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

II. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen, sofern die Berufung nicht aus Kostengründen innerhalb der genannten Frist zurückgenommen werden sollte.

III. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für den zweiten Rechtszug auf 900 EUR festzusetzen.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht im Wege der Teilklage weitergehende Verdienstausfallansprüche von zunächst 6.000 EUR aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 17.05.1992 auf der Straße zwischen F. und S. ereignet hat. Der Unfallverursacher X war ständig über 100 km/h schnell gefahren und hatte in einer scharfen Rechtskurve die Gewalt über sein Fahrzeug verloren. Dabei wurde die Klägerin als Beifahrerin schwer verletzt. Bei der Beklagten handelt es sich um die zuständige Haftpflichtversicherung des vom Unfallverursacher geführten Fahrzeugs. Die Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig.

Durch den Unfall erlitt die Klägerin u.a. folgende Verletzungen: HWK 2 Luxationsfraktur, eine Querfortsatzfraktur LWK 5 mit LWK Nervenwurzelprellungssymptomatik und Lähmung im Fußbereich, eine vordere Beckenringfraktur rechts, eine Fraktur des linken Oberschenkels, einen Bruch im Fußgewölbe rechts (Thalusfraktur) sowie eine laterale Bandruptur am oberen Sprunggelenk links. Die Oberschenkelfraktur wurde mittels einer Marknagelung operativ versorgt, die HWK-Fraktur wurde verblockt.

Auf das geforderte Schmerzensgeld zahlte die Beklagte zunächst einen Betrag in Höhe von 25.000 DM. Unfallbedingt konnte die Klägerin ihren Beruf (Ausbildung zur Friseurin) nicht weiter ausüben und absolvierte in der Folgezeit eine Umschulung zur Reiseverkehrsfrau; diesen Beruf übte sie bis zuletzt in Teilzeit aus. Nach dem Unfall war die Klägerin zunächst zwei Monate stationär behandelt worden. Kurz vor Weihnachten 1992 wurde sie nochmals am Halswirbel operiert (Materialentfernung). Im Juli 1994 wurde der Marknagel im Oberschenkel entfernt. Dabei wurde festgestellt, dass sich eine 4 cm große Verkalkung am Knochen gebildet hatte, sodass sich die Klägerin - wie sich aus ihrem PKH-Antrag beim Landgericht Flensburg vom 17.11.1994 ergibt (vgl. Anlage K2 Bl. 12 GA) - einer neuerlichen Operation unterziehen musste. Nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das beantragte...

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