Entscheidungsstichwort (Thema)
Gutachterqualifikation im Betreuungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Das vor der Bestellung eines Betreuers bzw. der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts einzuholende Gutachten eines Sachverständigen i.S.d. § 68b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FGG muss von einem Arzt für Psychiatrie oder mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie erstellt sein. Der Umfang der Erfahrungen ist durch das Gericht durch Rückfrage beim Sachverständigen zu klären und in seiner Entscheidung darzulegen.
2. Ein Verstoß gegen § 68b FGG stellt einen Verfahrensfehler dar, der in aller Regel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt.
Normenkette
FGG § 68b Abs. 1-2
Tenor
Die angefochtenen Beschlüsse werden aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Gründe
I. Die 89-jährige Betroffene, die zunehmend an vasculärer Demenz leidet, lebt seit 1984 mit der Beteiligten zu 2., ihrer ca. 60-jährigen Tochter, zusammen. Sie hat monatlich Einkünfte aus Renten und Pflegegeld i.H.v. insgesamt 1.181,67 EUR. Hiervon geht per Dauerauftrag monatlich ein Betrag von 511,29 DM auf das Konto der Tochter, von dem diese die Lebenshaltungskosten der Mutter bestreitet. Der Verbleib des Restbetrages von 670,38 EUR war zum Zeitpunkt der Entscheidung des LG ungeklärt. Am 16.2.2006 hat die Beteiligte zu 2. beim AG angeregt, für ihre Mutter eine Betreuung einzurichten. Das AG hat u.a. ein Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin H. längjähriger Hausarzt der Betroffenen - eingeholt und die Betroffene und die Beteiligte zu 2. angehört. Es hat durch Beschluss vom 29.5.2006 die Beteiligte zu 1. zur Berufsbetreuerin bestellt mit den Aufgabenkreisen: Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung ohne geschlossene Unterbringung, Vermögenssorge einschließlich der Postangelegenheiten sowie Ämter- und Behördenangelegenheiten einschließlich der Pflegeversicherung. Hiergegen hat die Betroffene Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, an Stelle der Beteiligten zu 1. ihrem ausdrücklich geäußerten Wunsch entsprechend die Beteiligte zu 2. zur Betreuerin zu bestellen. Das AG hat nach erneuter Anhörung u.a. der Betroffenen durch Beschluss vom 26.7.2006 der Beschwerde nicht abgeholfen, die Betreuung um den Aufgabenkreis "Erteilung und Widerruf von Vollmachten" erweitert und diesen Aufgabenkreis unter Einwilligungsvorbehalt gestellt. Gegen diesen Beschluss hat die Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt. Das LG hat die Betroffene, ihren Verfahrensbevollmächtigten, ihren Verfahrenspfleger, die Beteiligte zu 1. und die Beteiligte zu 3. angehört und durch Beschlüsse vom 19.12.2006 die Beschwerden zurückgewiesen. Gegen diese Beschlüsse, auf die zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird (Bl. 126 - 134 d.A.) richtet sich die (sofortige) weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2., mit der sie erstrebt, die angefochtenen Beschlüsse und die Betreuungserweiterung einschließlich des Einwilligungsvorbehalts aufzuheben und an Stelle der Beteiligten zu 1. sie - die Beteiligte zu 2. - zur Betreuerin zu bestellen. Die Betroffene, ihr Verfahrenspfleger, die Beteiligte zu 1. und die Beteiligte zu 3. haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
II. Die Rechtsmittel sind nach §§ 69g, 20, 21, 22, 27 und 29 FGG zulässig. Da der Beschluss des AG vom 26.7.2006 der Beteiligten zu 2. nicht förmlich zugestellt worden ist und deshalb keine Beschwerdefrist zu laufen begonnen hat, ist sie - obwohl sie gegen die erstinstanzliche Entscheidung kein Rechtsmittel eingelegt hatte - auch insoweit mit der Rechtsbeschwerde nicht ausgeschlossen (Jansen/Briesemeister, FGG, 3. Aufl., § 27 Rz. 23; Keidel/Meyer-Holz, FGG, 15. Aufl., § 27 Rz. 11).
Die Rechtsmittel sind begründet. Die angefochtenen Entscheidungen beruhen auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 FGG; 546 ZPO).
1. Hinsichtlich der Betreuungserweiterung einschließlich der Anordnung des Einwilligungsvorbehalts sind der angefochtene Beschluss und der Beschluss des AG vom 26.7.2006 verfahrensfehlerhaft ergangen, weil zur Frage des Einwilligungsvorbehalts entgegen § 68b Abs. 2 und 1 Satz 1, 4 und 5 überhaupt kein Gutachten - die erleichternden Voraussetzungen des § 68b Abs. 1 Satz 2 FGG lagen nicht vor - und im Übrigen kein Gutachten eines Arztes für Psychiatrie oder mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie eingeholt worden ist. Den Umfang der Erfahrungen muss das Gericht durch Rückfragen beim Gutachter klären und in seiner Entscheidung darlegen (Keidel/Kayser, a.a.O., § 68b Rz. 7 m.w.N.). Das Auswahlkriterium ergibt sich schon aus der Notwendigkeit, dass der Sachverständige die Unfähigkeit des Betroffenen zur freien Willensbildung zu prüfen hat (vgl. jetzt ausdrücklich § 1896 Abs. 1a BGB), wozu psychiatrische Erfahrung erforderlich ist. Der vom AG durch Beschluss vom 16.2.2006 mit dem Betreuungsgutachten beauftragte Sachverständige H ist Facharzt für Allgemeinmedizin, ohne dass psychiatrische Erfahrungen dargelegt worden sind. Ein Verstoß gegen § 68b FGG stellt einen Verfahrensfehler dar, der...