Leitsatz (amtlich)
1. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit dürfen konkrete Bereiche der elterlichen Sorge nur insoweit entzogen werden, als es zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung erforderlich ist.
2. Die Entziehung eines Sorgerechtsbereichs nach §§ 1666, 1666a Abs. 2 BGB setzt voraus, dass in diesem Bereich für die Kinder ein konkretes Handlungsbedürfnis besteht. Reine Praktikabilitätserwägungen können die Entziehung von Sorgerechtsbereichen nicht rechtfertigen.
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - ... vom ... - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Kindesmutter werden für die Kinder ..., folgende Bereiche der elterlichen Sorge entzogen:
- Aufenthaltsbestimmungsrecht
- Gesundheitsfürsorge
- schulische Angelegenheiten
- Entscheidung über den Besuch von Kinderbetreuungseinrichtungen
- Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen und die Verwaltung der sich daraus ergebenden finanziellen Mittel
- Beantragung von sozialstaatlichen Leistungen und das Recht zur Antragstellung für Leistungen nach dem SGB VIII und Verwaltung der sich daraus ergebenden finanziellen Mittel
- die Vermögenssorge insofern, wie es um die Einrichtung eines Kontos für die Kinder und die Verwaltung der sich darauf befindlichen Geldbeträge geht.
2. Es wird Ergänzungspflegschaft angeordnet. Zum Pfleger für die unter Ziff. 1. genannten vier Kinder wird das Jugendamt ... bestellt.
3. Von der Erhebung von Gerichtskosten und gerichtlichen Auslagen für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Eine Erstattung von außergerichtlichen Kosten zwischen den Verfahrensbeteiligten findet nicht statt.
4. Der erneute Antrag auf Verlängerung der Stellungnahmefrist vom 29.3.2019 - per Fax beim Senat am 12. April 2019 eingegangen - wird abgelehnt.
5. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Eltern der betroffenen Kinder waren bei der Geburt nicht verheiratet, Vaterschaftsanerkenntnisse liegen vor. Eine Sorgerechtserklärung ist für keines der Kinder erfolgt, so dass die Mutter allein sorgeberechtigt war.
Mit der Gefährdungsmitteilung vom ... (Blatt 1 ff. der Akte) teilte das Jugendamt mit, dass die Kinder am ... aufgrund der unzureichenden Versorgungssituation im Haushalt der Kindesmutter in Obhut genommen werden mussten. Darüber hinaus sieht das Jugendamt die alleinerziehende Mutter, die seit vom Vater getrennt lebt, als nicht in der Lage, den Kindern ein verlässliches Umfeld für notwendige Förderung zu bieten und langfristig bereits bestehende Kindeswohlgefährdung - auch nicht mit ambulanter Hilfe - abwenden zu können. Insbesondere habe sich gezeigt, dass eine Zusammenarbeit mit der Mutter wegen ihrer Unzuverlässigkeit nicht konstruktiv möglich ist. Zur Ergänzung wird auf die Gefährdungsmitteilung des Jugendamtes Bezug genommen.
Die Kinder befinden sich seit der Inobhutnahme in Pflegefamilien, wobei die Kinder ... gemeinsam untergebracht sind.
Das Familiengericht hat Beweis erhoben durch ein schriftliches Sachverständigengutachten der Sachverständigen ... vom 11.10.2017 (Blatt 118 ff. der Akte; betreffend den Vater) und ergänzend vom 7.8.2018 (Blatt 230 ff. der Akte; betreffend die Mutter) zur Frage der Erziehungsfähigkeit von Mutter und Vater sowie zu der Frage, ob die Kinder, gegebenenfalls mit ambulanter Hilfe, im Haushalt von Mutter oder Vater leben könnten, ohne dass das Kindeswohl gefährdet wäre. Das Familiengericht hat die Kinder im Beisein des Verfahrensbeistandes angehört und am 20. September 2018 die Angelegenheit mit den Beteiligten mündlich erörtert. Auf das Sachverständigengutachten und die jeweiligen Protokolle wird näher Bezug genommen.
Im Anhörungstermin vom 20. September 2018 hat der Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter ausgeführt, dass derzeit keine Rückkehr der Kinder in den Haushalt der Kindesmutter möglich sei.
Das Familiengericht hat der Kindesmutter die elterliche Sorge für die betroffenen Kinder vollumfänglich entzogen.
Die Kindesmutter wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Entscheidung des Familiengerichts.
Sie ist der Auffassung, dass es nicht erforderlich sei, ihr die elterliche Sorge für alle Bereiche zu entziehen.
Der Vormund ist der Auffassung, dass die Kindesmutter aufgrund ihrer Suchtproblematik und der daraus resultierenden Unzuverlässigkeit nicht in der Lage ist, wesentliche Teile der elterlichen Sorge für die Kinder zu regeln. Vermögen sei derzeit nicht zu verwalten. Im Bereich der religiösen Kindererziehung gebe es keine Unstimmigkeiten und keinen Klärungsbedarf. Klärungsbedürftig sei auch die Frage der Umgangskontakte und die Frage, ob ein Kinderkonto für die Kinder eingerichtet werden könne.
Nach Auffassung des Jugendamtes ist der vollständige Entzug der elterlichen Sorge notwendig. In weiten Bereichen erweise sich die Kindesmutter als labil und instabil, sodass sie zu keiner klaren Entscheidung fähig sei. Auch das Recht, die Kinder beim Sportverein oder für ähnliche Freizeitaktivitä...