Entscheidungsstichwort (Thema)

Ergänzende Testamentsauslegung bei testamentarischer Erbenberufung entsprechend gesetzlicher Erbfolge und Vorversterben aller Verwandten

 

Normenkette

BGB § 2084; FamFG § 29

 

Verfahrensgang

AG Lübeck (Beschluss vom 06.10.2015)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des AG - Nachlassgericht - Lübeck vom 06.10.2015 aufgehoben.

Das AG wird angewiesen, der Beteiligten zu 1) den beantragten Erbschein zu erteilen.

Eine Kostenerstattung wird nicht angeordnet. Die Gerichtkosten des ersten Rechtszuges trägt die Beteiligte zu 1). Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 120.000,00 EUR.

 

Gründe

I. Frau A, nachfolgend Erblasserin genannt, war mit B verheiratet. Die Erblasserin hatte keine Kinder. Die Beteiligten zu 1) und 2) sind Kinder des vorverstorbenen Ehemanns B aus dessen erster Ehe.

Die Erblasserin und ihr Ehemann errichteten am 07.06.1973 ein notarielles gemeinschaftliches Testament. Darin traf die Erblasserin folgende Verfügungen:

"Ich, die Erschienene zu 2), setze hiermit für den Fall, dass ich als erste versterbe, meinen Ehemann zum unbeschränkten Alleinerben ein.

Sollte er vor mir versterben, behalte ich mir weitere letztwillige Verfügungen vor."

Der Ehemann setzte darin die Erblasserin als befreite Vorerbin und seine Kinder, die Beteiligten zu 1) und 2), als Nacherben ein. Für seine als Nacherben berufenen Kinder bestimmte er eine Pflichtteilstrafklausel für den Fall, dass einer von ihnen nach seinem Ableben Pflichtteilsansprüche gegen die Erblasserin geltend machen sollte.

Die Schwester der Erblasserin, Frau C, verstarb am 23.07.2004 kinderlos. Weitere nahe Verwandte hatte die Erblasserin nicht.

Der Ehemann der Erblasserin verstarb am 12.01.2005.

Die Erblasserin verstarb am 10.04.2015. Ihr Nachlass besteht im Wesentlichen aus dem Hausgrundstück..., das sie zusammen mit ihrer Schwester im Jahr 1966 von ihrer Mutter geerbt hatte und sodann von ihrer Schwester allein zu Eigentum übernommen hatte.

Die Beteiligte zu 1) hat mit notarieller Erklärung vom 6.07.2015 die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt, der sie und die Beteiligte zu 2) als Erben zu je 1/2 ausweist. Sie hat vorgetragen, das gemeinschaftliche Testament vom 07.06.1973 sei nach dem Willen der Erblasserin ergänzend dahin auszulegen, dass ihre beiden Stieftöchter, die Beteiligten zu 1) und 2), als Ersatzerben des Ehemannes in dem Fall berufen sein sollten, wenn sie diesen überleben sollte. Sie, die Beteiligte zu 1), habe zur Erblasserin ein herzliches und enges Verhältnis gehabt habe, so als wäre sie ihre leibliche Mutter gewesen. Nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 2005 habe sie sie ein- bis zweimal wöchentlich besucht und ihr in den letzten 12 Monaten vor ihrem Ableben auch bei der Körperpflege geholfen. Die Erblasserin sei immer davon ausgegangen, dass sie nach dem Testament von ihren Stieftöchtern beerbt werde. Sie habe dieses mehrfach geäußert. Sie habe sogar mit dem Gedanken gespielt, sie, die Beteiligte zu 1), als Alleinerbin einzusetzen, weil sie sich besonders um die Erblasserin gekümmert habe. Die Erblasserin habe keine lebenden Verwandten mehr.

Das AG hat den Erbscheinantrag der Beteiligten zu 1) mit Beschluss vom 06.10.2015 zurückgewiesen. In dem Beschluss heißt es, für die Auslegung des notariellen Testamentes vom 07.06.1973 sei allein der Wille der Erblasserin bei Errichtung des Testaments maßgebend. Die Erblasserin habe nur eine Erbeinsetzung für den Fall vorgenommen, dass sie vor ihrem Ehemann versterben sollte. Für den Fall eines Nachversterbens habe sie sich ausdrücklich eine weitere letztwillige Verfügung vorbehalten. Bei dieser Sachlage komme eine ergänzende Auslegung, wie sie von der Beteiligten zu 1) vertreten werde, nicht in Betracht.

Ein später geäußerter Wille der Erblasserin dahin, dass die Beteiligten als Kinder des vorverstorbenen Ehemann Erben sein sollten, sei unerheblich, weil es an einer formgerechten Testierung dieses Willens fehlt.

Der das Testament beurkundende Notar habe mit der Erblasserin über den Fall ihres Nachversterbens gesprochen. Sie habe zum damaligen Zeitpunkt keine Entscheidung treffen wollen. Eine bewusste Lücke im Testament könne nicht durch Auslegung geschlossen werden.

Außerdem sprächen die Tatsachen, dass die Erblasserin eine Schwester gehabt habe und der Nachlass im Wesentlichen aus ihrem Elternhaus bestanden habe, dafür, dass sie sich bei Testamentserrichtung bewusst für keine Erbeinsetzung für den Fall entschieden habe, dass sie nach ihrem Ehemann versterben sollte.

Dass sie den konkreten Inhalt des viele Jahre zurückliegenden Testamentes vergessen habe und aus diesem Grunde kein weiteres Testament verfasst habe, begründe keinen Raum für eine Auslegung.

Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, das AG habe unterstellt, dass der das Testament vom 07.06.1973 beurkundende Notar mit der Erblasserin über den Fall des Nachversterbens ...

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