Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall zwischen einem Rettungswagen im Einsatz (Blaulichtfahrt), der bei Rotlicht in eine Kreuzung einfährt, und einem PKW, der vor dem Rettungswagen abbiegt und dann abrupt abgebremst wird.
Leitsatz (amtlich)
1. Fährt ein Rettungswagen im Einsatz (Blaulichtfahrt) gemäß §§ 35 Abs. 1, 38 Abs. 1 StVO berechtigt und mit einer zunächst der Situation angemessenen Geschwindigkeit bei Rotlicht in eine Ampelkreuzung ein, und biegt gleichwohl ein trotz Grünlicht gemäß § 38 Abs. 1 S. 2 StVO wartepflichtiger PKW vor dem Rettungswagen auf dessen Fahrspur ein, hat der Fahrer des Rettungswagens in Anwendung des § 38 Abs. 8 StVO i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 2, § 4 Abs. 1 S. 1 StVO umgehend die Geschwindigkeit herabzusetzen und einen ausreichenden Sicherheitsabstand herzustellen.
2. Kommt es in einer solchen Situation zur Kollision, weil der PKW plötzlich bis zum Stillstand abgebremst wird und der Rettungswagen wegen des zu geringen Sicherheitsabstandes und / oder unangepasst hoher Geschwindigkeit nicht mehr angehalten werden kann und auf den PKW auffährt, kommt eine Haftungsverteilung von 70 % zu 30 % zulasten des PKW in Betracht.
Normenkette
StVG §§ 7, 17-18; StVO §§ 1, 3-4, 35, 38
Verfahrensgang
LG Lübeck (Aktenzeichen 4 O 55/24) |
Tenor
I. Die Klägerin wird gemäß § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass ihre Berufung gegen das angefochtene Urteil offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung aus den nachfolgenden Gründen ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
II. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen, sofern die Berufung nicht aus Kostengründen innerhalb der genannten Frist zurückgenommen werden sollte.
III. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für den zweiten Rechtszug auf 16.035,44 EUR (Berufung des Klägers 6.723,15 EUR, Anschlussberufung der Beklagten 9.312,29 EUR) festzusetzen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls. Der Unfall ereignete sich am X gegen 16:55 Uhr bei Dunkelheit im Bereich der Kreuzung X-Straße und B in X. Beteiligt waren der im Notfalleinsatz befindliche Rettungswagen der Klägerin mit dem Kennzeichen X, der vom Zeugen M geführt wurde (RTW), und der von der Beklagten zu 1) geführte bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherte PKW mit dem Kennzeichen X, deren Halterin ebenfalls die Beklagte zu 1) ist.
Der Unfall ereignete sich wie folgt: Die Beklagte zu 1) befuhr die X-Straße aus Süden kommend und beabsichtigte nach links auf die B abzubiegen. Sie fuhr bei grüner Ampel auf der Linksabbiegerspur in die Kreuzung ein und verzögerte ihr Fahrzeug sodann wieder. Unklar ist, weshalb sie abbremste und ob sie ihr Fahrzeug in dieser Situation zum Stillstand brachte. Von rechts näherte sich auf der B aus östlicher Richtung der RTW, der mit eingeschaltetem Blaulicht und Einsatzhorn unter Befahren der dortigen Linksabbiegerspur mit ca. 30-35 km/h in die Kreuzung einfuhr. Der Zeuge M wollte zunächst rechts am PKW der Beklagten zu 1) vorbeifahren. Die Beklagte zu 1) setzte allerdings ihren Abbiegevorgang auf die B in fort, als der RTW allenfalls noch 10 m entfernt war. Die Fahrzeuge befanden sich nun hintereinander in gleicher Fahrtrichtung. Einige Meter weiter, im äußerst westlichen Kreuzungsbereich, bremste die Beklagte zu 1) ihr Fahrzeug plötzlich bis zum Stillstand ab und der RTW fuhr leicht nach rechts versetzt von hinten auf.
Der materielle Schaden der Klägerin beläuft sich - dies ist im Berufungsverfahren nicht mehr streitig - auf insgesamt 22.410,50 EUR. Vorgerichtlich hat die Beklagte zu 2) 6.375,06 EUR an die Klägerin gezahlt.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagten hafteten zu 100 %. Die Beklagte zu 1) habe mit ihrem Verhalten den Anschein erweckt, den RTW wahrgenommen zu haben und zu warten. Stattdessen sei sie weitergefahren und habe nach dem Abbiegen direkt vor dem RTW stark gebremst. Der Zeuge M, der mit dem RTW unter Inanspruchnahme von Sonderrechten umsichtig, langsam und bremsbereit in die Kreuzung eingefahren sei, habe den Unfall nicht vermeiden können.
Die Klägerin hat (zuletzt) beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin weitere 16.900,44 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozent-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.01.2024 sowie Zinsen - auf den regulierten Betrag von 6.375,06 EUR - in Höhe 47,32 EUR zu zahlen;
2. die Beklagte werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.583,89 EUR als nicht streitwerterhöhende Nebenforderung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
hilfsweise zu 2),
3. die Beklagte als Gesamtschuldner zu ve...