Leitsatz (amtlich)

Einem elfjährigen Kind muss - insbesondere nach mehrfachen Ermahnungen seiner Mutter - klar sein, dass es sich bei einem kombinierten Rad-/Fußweg in unmittelbarer Fahrbahnnähe nicht um einen Spielplatz handelt.

 

Normenkette

BGB §§ 254, 828 Abs. 3; SGB X § 116; StVG §§ 7, 9, 18; StVO §§ 1, 3 Abs. 2a, § 31 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin vom 19.12.2018 gegen das am 14.11.2018 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Berufungsstreitwert wird auf 3.206,23 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt als gesetzliche Krankenkasse aus übergegangenem Recht wegen eines Verkehrsunfalls Ersatz von Heilbehandlungskosten in Höhe von 12.824,94 EUR.

Am 29. Mai 2014 gegen 17:50 Uhr wurde der damals 11 Jahre alte Rene M1 in M2, K. in Höhe Haus Nr. 27 f, durch einen Verkehrsunfall nicht unerheblich verletzt. Er erlitt eine komplette Unterschenkelfraktur links, die operativ im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (Campus Lübeck) behandelt werden musste (Plattenosteosynthese der Tibia und der Fibula am 29.05.2014). Der Beklagte zu 1) war am Unfalltag als Fahrer des bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Taxifahrzeugs, Daimler Benz amtl. Kennzeichen R..., deren Halterin die Beklagte zu 2) war, auf der K. mit drei Fahrgästen in Richtung P1 unterwegs. Am rechten Fahrbahnrand waren auf dem kombinierten Rad-/Fußweg der Geschädigte Rene M1 zusammen mit seinem Zwillingsbruder Nico M1, deren Mutter Melanie M1 sowie zwei Freundinnen der Jungs zu Fuß in Richtung T1 unterwegs, sie alle kamen von Q1 Hamburger Grill.

Aus Gründen, die zwischen den Parteien streitig sind, geriet der Geschädigte Rene M1 auf die Fahrbahn, prallte zunächst gegen den rechten Seitenspiegel des Fahrzeugs, anschließend wurde das linke Bein vom rechten Hinterrad des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) überrollt.

Die Klägerin übernahm als gesetzliche Krankenkasse folgende Behandlungskosten:

1. Stationäre Krankenhausbehandlung vom 29.05. bis 06.06.2014

4.302,30 EUR

2. Rettungswagentransport am 29.05.2014

743,42 EUR

3. Notarzteinsatz am 29.05.2014

277,58 EUR

4. Gehhilfe, VO vom 30.05.2014

42,78 EUR

5. Fahrkosten Taxi am 06.06.2014

48,97 EUR

6. Miet-Rollstuhl, VO vom 10.06.2014

125,00 EUR

7. Fahrkosten Taxi am 10.06.2014

15,14 EUR

8. ambulante KH-Behandlung 16.06.2014

69,91 EUR

9. Stationäre Krankenhausbehandlung vom 18. bis 23.06.2014

2.457,77 EUR

10. Fahrkosten Taxi am 23.06.2014

50,35 EUR

11. stat. Krankenhausbehandlung vom 28. bis 29.07.2014

3.384,97 EUR

12. Fahrkosten Taxi am 08.06.2014

37,22 EUR

13. Orthesen, VO vom 23.06.2014

223,20 EUR

14. Krankengymnastik vom 28.08. bis 10.01.2014

147,00 EUR

15. ambulantes Operieren vom 18. bis 19.11.2014

699,88 EUR

16. Krankengymnastik vom 01.12.2014 bis 30.01.2015

147,00 EUR

17. Weichpolstereinlagen, VO vom 05.10.2015

52,45 EUR

Summe und Klagforderung

12.824,94 EUR

Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte zu 1) sei mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren. Er habe das erforderliche Höchstmaß an Sorgfalt nach § 3 Abs. 2 a StVO nicht eingehalten. Er hätte seine Geschwindigkeit bis auf Schrittgeschwindigkeit reduzieren und sich jederzeit bremsbereit halten müssen. Trotz mehrfacher Ermahnungen der Mutter hätten die Kinder auf dem kombinierten Rad-/Gehweg wild herumgetobt und sich gegenseitig Blätter in die Sweatshirts zu stecken versucht. Der Geschädigte M1 sei während des Herumtobens von einem der Mädchen auf die Fahrbahn geschubst worden und so mit dem von hinten herannahenden Fahrzeug des Beklagten zu 1) kollidiert.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie 12.824,94 EUR nebst Zinsen hierauf in Höhe von p. a. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 12.09.2014 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, der Beklagte zu 1) habe die am rechten Fahrbahnrand spielenden Kinder gesehen und sich mit herabgesetzter Geschwindigkeit von allenfalls 15 km/h der Gruppe genähert. Ohne auf den Verkehr zu achten, sei der Geschädigte Rene M1 plötzlich auf die Straße gelaufen. Der Beklagte zu 1) habe keine Möglichkeit zum Ausweichen mehr gehabt. Er habe auch nicht damit rechnen müssen, dass der Geschädigte M1 plötzlich und unvermittelt auf die Fahrbahn gerate.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Melanie M1, Rene M1, Nico M1, Karola H1, Kim M3, Thomas B1 und Elisa G1.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 14.11.2018 hat das Landgericht der Klage im Wesentlichen stattgegeben, allerdings dem Geschädigten M1 nach §§ 9 StVG, 254 Abs. 1 BGB eine Mitverursachungsquote von 25 % angelastet. Deshalb hat das Landgericht lediglich einen Ersatzanspruch in Höhe von 9.618,71 EUR (= 75 % des geltend gemachten Schadens) zuerkannt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass sich die Klägerin gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB eine Anspruchskürzun...

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