Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflicht der Wohnungseigentümer zur Änderung der Gemeinschaftsordnung bei außergewöhnlichen Umständen
Leitsatz (amtlich)
1. Aus dem unter den Wohnungseigentümern bestehenden Treueverhältnis kann sich die Pflicht ergeben, einer Änderung der Gemeinschaftsordnung (hier: Verteilungsschlüssel) zuzustimmen.
2. Dies kommt in Betracht, wenn außergewöhnliche Umstände ein Festhalten an der getroffenen Regelung als grob unbillig und damit gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB verstoßend erscheinen lassen.
3. Die Pflicht besteht auch dann, wenn die Teilungserklärung eine Öffnungsklausel enthält.
4. Jedenfalls dann, wenn ein Wohnungseigentümer mehrmals vergeblich versucht hat, die Wohnungseigentümerversammlung zur Änderung des Verteilungsschlüssels zu bewegen, kann ihm nicht entgegengehalten werden, er müsse vor Anrufung des Wohnungseigentumsgerichts die Wohnungseigentümerversammlung erneut damit befassen.
Normenkette
WEG § 16 Abs. 2; BGB § 242
Verfahrensgang
LG Lübeck (Beschluss vom 23.11.2005; Aktenzeichen 3 T 226/05) |
AG Ahrensburg (Aktenzeichen 37-II 20/04) |
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 1) hat die gerichtlichen Kosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde zu tragen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Geschäftswert des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde beträgt 4.000 EUR.
Gründe
I. Die aus 4 Häusern bestehende Anlage enthält einen SB-Markt (Teileigentum Nr. 42), Praxen und Büros (Teileigentum Nr. 40 und 41), 39 Wohnungen und eine Tiefgarage, zu welcher der hauseigene Fahrstuhl herabgeführt ist. Die Beteiligte zu 1) ist Teileigentümerin der Tiefgaragenstellplätze Nr. 43 bis 85. Sie erwarb die Stellplätze, um die ihr von der Bauaufsichtsbehörde auferlegten Stellplatzvorhaltungen für ihr unmittelbar angrenzendes Mietshaus mit Büros, Praxen und Läden zu erfüllen. Der Fahrstuhl ist für ihre Stellplatzbenutzer ohne Bedeutung, weil diese die Tiefgarage anderweit verlassen müssen, um in das Nachbarhaus zu gelangen. § 14 der Teilungserklärung vom 3.5.1993 (TE) regelt die "Ermittlung und Verteilung der laufenden Kosten und Lasten gemeinschaftlicher Verwaltung (Hausgeld/Wohngeld)". Nach § 14 Nr. 2 TE setzt sich das Wohngeld/Hausgeld zur Zeit u.a. aus folgenden Beträgen/Betragsgruppen zusammen:
"a) der Vergütung für den WE-Verwalter ...,
b) den allgemeinen Bewirtschaftungs- bzw. Betriebskosten, insb. den Grundstücksgebühren, den Kosten für ... Versicherungen, den Kosten für Straßenreinigung, Schnee- und Eisbeseitigung, Müllabfuhr,... und den sonstigen Betriebskosten, soweit sie mit der Bewirtschaftung der Anlage unmittelbar zusammenhängen und für die Werterhaltung der Anlage notwendig sind ... Diese Kosten sind von allen Sonder-/Teileigentümern im Verhältnis der qm-/Wohn-/Nutz-Fläche ... zu tragen (§ 16 Abs. 2 WEG)." ...
Weiter ist bestimmt:
"Der Eigentümer des Teileigentums Nr. 42 wird nicht beteiligt an folgenden Kosten der Sonder- und Teileigentumseinheiten 1-41:
- Müllbeseitigung (bezüglich der Einheiten 1-41),
- Reinigung der Treppenhäuser, mit Ausnahme Kellergeschoss,
- Aufzugskosten
Die Eigentümer des Teileigentums Nr. 43-85 werden nicht beteiligt an den Kosten:
- Treppenhausreinigung,
- Be- und Entwässerung (soweit es die Eigentümer der Einheiten Nr. 1-42 betrifft)
- Schornsteinreinigung (Heizung)
- Heiz- und Warmwasserkosten. ...
5. Der Kostenverteilerschlüssel (§ 14 Abs. II) kann mit ¾ Mehrheit aller Miteigentumsanteile durch Beschluss der Eigentümerversammlung geändert werden. ..."
Die Beteiligte zu 1) ist der Auffassung, ihre Beteiligung an den Kosten des Aufzugs und der Müllbeseitigung sei ungerechtfertigt, weil ihre Tiefgaragenbenutzer den Aufzug und die Müllentsorgungsvorrichtungen nicht benutzten und mangels Zugangs auch gar nicht benutzen könnten. Sie hatte mehrfach in Wohnungseigentümerversammlungen versucht, den Kostenverteilungsschlüssel zu ändern (vgl. TOP 4 des Protokolls über die Versammlung vom 21.7.1994, TOP 5 des Protokolls über die Versammlung vom 6.10.1995 und TOP 14 der Versammlung vom 17.5.2001). Die hierfür erforderliche ¾ Mehrheit konnte sie nicht erreichen. Gleichfalls hatte sie mehrfach Wohngeldbeschlüsse angefochten.
In der Versammlung der Wohnungseigentümer am 4.5.2004 beschlossen diese mehrheitlich die Wohngeldabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2003 (TOP 2) und genehmigten den Wirtschaftsplan für das Jahr 2004 (TOP 5). Die Beteiligte zu 1) hat beantragt, diese Beschlüsse für ungültig zu erklären und festzustellen, dass sie an den Kosten der Müllabfuhr und der Fahrstuhlanlage in den Jahresabrechnungen der Verwaltung über das Gemeinschaftseigentum nicht zu beteiligen ist. Das AG hat die angefochtenen Beschlüsse für ungültig erklärt (weil die Eigentümerin des Teileigentums Nr. 42 nicht hinreichend an den Kosten beteiligt worden war) und den Feststellungsantrag zurückgewiesen. Hiergegen hat die Beteiligte zu 1) sofortige Beschwerde eingelegt. Sie hat den Feststellungsantrag weiterverfolgt und hilfsweise beant...