Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum möglichen Verstoß der Vergabestelle gegen den Transparenzgrundsatz angesichts der Antwort der Antragsgegnerin auf eine Bieterfrage zur Zahlung von Tariflohn
Leitsatz (amtlich)
1. Die Vergabestellen sind verpflichtet, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu formulieren und Widersprüchlichkeiten zu vermeiden. Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens müssen klar, präzise und eindeutig formuliert werden, so dass zum einen alle mit der üblichen Sorgfalt handelnden Unternehmen die genaue Bedeutung dieser Bedingungen und Modalitäten verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und zum anderen der Auftraggeber tatsächlich überprüfen kann, ob die Teilnahmeanträge oder Angebote die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen.
2. Nicht mehr eindeutig sind Vergabeunterlagen, wenn fachkundigen Unternehmen auch nach Auslegungsbemühungen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben: Hat der potentielle Bieter angesichts mehrerer Auslegungsmöglichkeiten keine eindeutige Grundlage für die Ausarbeitung seines Angebots, liegt ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vor.
3. Kann durch eine Leistungsbeschreibung im Zusammenwirken mit der Antwort der Vergabestelle auf eine Bieterfrage die (im Ergebnis irrtümliche) Vorstellung erweckt werden, die Bieter hätten für Mitarbeiter den Tariflohn eines bestimmten Lohntarifvertrages anzubieten, liegt hierin ein Verstoß gegen das Transparenzgebot. Die Vergabestelle muss sich in einer solchen Situation hinreichend deutlich - im Wege eines actus contrarius - von der missverständlichen Antwort auf die Bieterfrage distanzieren.
Normenkette
GWB § 97 Abs. 1-2, § 121 Abs. 1; VgV § 31 Abs. 1
Tenor
1) Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin vom 9. Dezember 2021 gegen den Beschluss der Vergabekammer Schleswig-Holstein vom 29. November 2021, VK-SH 27/21, wird bis zur Entscheidung des Senats über die sofortige Beschwerde der Antragstellerin verlängert.
2) Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin schrieb mit Auftragsbekanntmachung vom 16. Juli 2021 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union im offenen Verfahren den Dienstleistungsauftrag "Sicherheitsdienstleistung in der Unterkunft für wohnungslose und geflüchtete Personen, A... Straße; Objekt- und Personenschutz in Form von Bewachungs- und Sicherheitsdienstleistungen" (...) aus. Die Auftragsunterlagen standen nach Ziffer I.3) der Auftragsbekanntmachung online auf dem Deutschen Vergabeportal zur Verfügung. In Ziffer II.2.4 der Auftragsbekanntmachung der Antragsgegnerin heißt es:
"Ausgeschrieben wird eine Dienstleistung zur Durchführung von Objekt- und Personenschutz in Form von Bewachungs- und Sicherheitsdienstleistungen in der Unterkunft für wohnungslose und geflüchtete Personen für ein Vertragsjahr sowie dreimal 1 Jahr Verlängerung."
Unter Ziffer 1 "Allgemeines" der Leistungsbeschreibung der Antragsgegnerin heißt es hierzu erläuternd
"Die Abteilung Wohnungs- und Unterkunftssicherung im Amt für Wohnen und Grundsicherung ist für die Unterbringung von wohnungslosen Menschen zuständig. Der Kreis der unterzubringenden Personen umfasst sowohl alleinstehende als auch alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Familien, Ehepaare und eingetragene Partnerschaften. In der Unterkunft A. werden auch wohnungslose Personen mit Migrationshintergrund untergebracht. Sprachprobleme wie auch Unterschiede in der sozialen und kulturellen Herkunft können das Zusammenleben in der Unterkunft erschweren.
Die Unterbringung erfolgt in zwei Gebäuden sowie in der auf dem Gelände errichteten Containerunterkunft für Frauen. Die einzelnen Gebäude werden von verschiedenen durch die L. beauftragten Betreuungsträgern betreut. Die Notwendigkeit des Einsatzes eines Ordnungs- und Sicherheitsdienstes ergibt sich aus den Besonderheiten der unterzubringenden Personenkreise.
Aufgabe des Sicherheitsdienstes ist die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit. Leib, Leben, Gesundheit und Eigentum der Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen, Besucher*innen und Kund*innen sind vor äußeren und inneren Einflüssen zu schützen ..."
Nach II.2.5) der Auftragsbekanntmachung ist der Preis alleiniges Zuschlagskriterium, Vertragsbeginn sollte nach II.2.7) der 1. September 2021 sein.
Unter III.1.2) heißt es "Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit"
Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien:
"Folgende Unterlagen sind mit dem Angebot vorzulegen:
...
- Angabe, nach welchem Tarifvertrag die eingesetzten Kräfte monatlich, termingerecht und vollständig entlohnt werden,
...
- Verpflichtungserklärung Vergabemindestlohn, ..."
Unter Ziffer 5 "Abrechnung der Leistungen" heißt es in der Leistungsbeschreibung:
"Die Abrechnung erfolgt zu den im Angebot genannten Festpreisen als einheitlicher Stundenverrechnungssatz und ergibt sich aus den im Leistungsverzeichnis genannten Beträgen. Während der Vertragslaufzeit ist eine Anpassung des Preises, auf den d...