Leitsatz (amtlich)

Zur Zulässigkeit und Dauer von Polizeigewahrsam im Vorfeld einer Abschiebehaft.

 

Normenkette

GG Art. 104; AuslG § 63; LVwG §§ 181, 204

 

Verfahrensgang

LG Kiel (Aktenzeichen 3 T 521/02)

AG Kiel (Aktenzeichen 43 XIV 80/02)

 

Tenor

Der Beschluss des AG Kiel vom 9.10.2002 und der angefochtene Beschluss werden aufgehoben.

Die Sache wird zu anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das AG Kiel zurückverwiesen.

Dem Betroffenen wird für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten bewilligt. Eine Ratenzahlung wird nicht angeordnet.

 

Gründe

I. Der Betroffene wurde am Montag, dem 26.8.2002 um 13.30 Uhr in Kiel durch Polizeibeamte des 4. Polizeireviers gem. § 127 StPO wegen des Verdachts des illegalen Aufenthalts vorläufig festgenommen und in den Polizeigewahrsam eingeliefert. Er war im Bereich St.-Straße/J.-Straße ohne Ausweis- und Aufenthaltspapiere angetroffen worden, hatte versucht zu flüchten und auf der Wache verschiedene Namen in unterschiedlicher Schreibweise und verschiedene Geburtsdaten angegeben. Um 16.07 Uhr gab das 4. Polizeirevier den Betroffenen in den Polizeigewahrsam beim Kriminaldauerdienst. Um 20.00 Uhr begann dieser mit der erkennungsdienstlichen Behandlung, die um 23.31 Uhr mit dem Eingang eines Telex des BKA Wiesbaden – Identifizierung nach Abgleich von Telebild und Fingerabdrücken – abgeschlossen war. Am Dienstag, dem 27.8.2002 um 7.45 Uhr übergab der Kriminaldauerdienst den Betroffenen dem K 14, das per Fax die Beteiligte zu 2) benachrichtigte. Diese verständigte die Beteiligte zu 1) und erhielt um 8.19 Uhr deren Ersuchen auf Abschiebung des Betroffenen nebst den erforderlichen Unterlagen. Um 11.00 Uhr reichte die Beteiligte zu 2) den Antrag auf Abschiebehaft beim AG ein. Um 11.45 Uhr führte die Polizei den Betroffenen dem Abschiebehaftrichter vor. Dieser ordnete nach dessen Anhörung gegen 13.00 Uhr die Abschiebehaft bis zum 26.11.2002 an. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen wies das LG zurück. Auch seine sofortige weitere Beschwerde blieb sachlich ohne Erfolg. Er wurde aus der Haft in die Türkei abgeschoben.

In seiner Beschwerdeschrift an das AG im Abschiebungshaftverfahren hat der Betroffene beim AG die Feststellung beantragt, dass die Ingewahrsamnahme vom 26.8.2002 bis zur Stellung des Antrags beim AG auf Erlass eines Beschlusses zur Anordnung der Abschiebehaft rechtswidrig war. Die Beteiligte zu 2) ist dem entgegengetreten. Das AG hat festgestellt, dass die Ingewahrsamnahme in der Zeit vom 26.8.2002 16.07 Uhr bis zum 27.8.2002 11.00 Uhr rechtswidrig war, und den Antrag i.Ü. zurückgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2) hat das LG den Beschluss des AG geändert und den Antrag auf Feststellung, dass die Ingewahrsamnahme auch in dem Zeitraum vom 26.8.2002 16.07 Uhr bis zum 27.8.2002 11.00 Uhr rechtswidrig war, zurückgewiesen. Gegen den Beschluss des LG, auf den zur weiter gehenden Sachdarstellung Bezug genommen wird (Blatt 137 bis 144 d.A.) wendet sich der Betroffene mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Land Schleswig-Holstein als Träger der Polizei ist im gesamten Feststellungsverfahren formal nicht beteiligt worden.

II.1. Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 27 Abs. 1, 29 FGG; 3, 7 FEVG).

Die Rüge des Betroffenen, für die Entscheidung über den Feststellungsantrag sei nicht die Verfahrenszuständigkeit (zum Begriff vgl. Keidel/Schmidt, FGG, 15. Aufl., § 1 Rz. 13) der Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit gegeben, vielmehr seien die Verwaltungs- und Strafgerichte zuständig, bleibt folgenlos. gem. § 17a Abs. 5 GVG, der insoweit entspr. anwendbar ist (Zöller/Gummer, GVG, 23. Aufl., § 13 Rz. 4), prüft das Rechtsmittelgericht nicht, ob der beschrittene „Rechtsweg” zulässig ist. Unabhängig hiervon ist der Senat der Auffassung, dass die Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit für den Feststellungsantrag zuständig sind. Gegenstand des Antrags ist die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Freiheitsentziehung (Polizeigewahrsam), deren Grundlagen nur – wie das LG zutreffend hervorgehoben hat – in den §§ 181 Abs. 1 S. 1 und 204 Abs. 1 Nr. 2 LVwG S-H sowie in den §§ 127, 163b Abs. 1, 163C StPO gefunden werden kann. § 181 Abs. 4 S. 3 und § 204 Abs. 6 LVwG S-H bestimmen hinsichtlich der richterlichen Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung, dass sich das Verfahren nach den Vorschriften des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG) richtet, das weiter auf die Verfahrensvorschriften des FGG verweist (§ 3 S. 2). Die Einbeziehung des FEVG umfasst auch dessen § 13 Abs. 2. Es ist nunmehr einhellig anerkannt, dass dieser Vorschrift auch der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten behördlichen Freiheitsentziehung unterfällt, insb. wenn es – wie vorliegend – zu keiner gerichtlichen Entscheidung darüber g...

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