Entscheidungsstichwort (Thema)
Krypto-Handy. EncroChat. Europäischer Rechtsverkehr. Beweisverwertungsverbot
Leitsatz (amtlich)
1. § 100e Abs. 6 StPO ist auch bei grenzüberschreitenden Ermittlungen geeignete Maßstabsnorm des deutschen Strafverfahrensrechts für die Verwertung aus dem Ausland erlangter Daten. Insoweit dürfen auch Zufallsfunde aus im Ausland geführten Ermittlungen verwertet werden, wenn im Zeitpunkt ihrer Verwendung die die sich aus § 100b oder § 100c StPO folgenden Anforderungen erfüllt sind.
2. An die von französischen Strafverfolgungsbehörden erfolgte Auswertung der Telekommunikation mit Krypto-Telefonen der Plattform EncroChat kann am ehesten der Maßstab für eine Onlinedurchsuchung gemäß § 100b StPO angelegt werden.
3. Soweit im europäischen Rechtsverkehr die gemäß Art. 31 Richtlinie 2014/41/EU vorgesehene Unterrichtung des anderen Mitgliedsstaates von der Überwachung des Telekommunikationsverkehrs unterblieben ist, kann dies auf europäischer Ebene durch deren Verwendung geheilt werden.
4. Gleichwohl kann aus deutscher Sicht ein Verfahrensfehler darin bestehen, dass es nicht zur Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle gemäß §§ 92 b, 92 d IRG anhand der besonders aus §§ 59 Abs. 3, 91 b IRG folgenden Kriterien gekommen ist. Allerdings folgt hieraus bei vorzunehmender Abwägung zwischen den Strafverfolgungsbelangen und dem Interesse des Betroffenen nicht zwingend ein Verwertungsverbot.
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
Zulässigkeit der Verwertung von Ergebnissen der in Frankreich erfolgten Auswertung der Telekommunikation von EncroChat-Krypto-Handys
Normenkette
IRG §§ 59, 77h, 91b, 92b, 92d; StPO §§ 100a, 100b, 100e; RL 2014/41/EU Art. 1, 30-31; Rahmenbeschluss 2006/960/JI Art. 7
Tenor
Die Beschwerde des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Der Angeklagte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts R. vom 1. November 2020 seit dem 5. November 2020 in ununterbrochener Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt N.. Ihm wird mit der am 11. Januar 2021 durch die Staatsanwaltschaft K. erhobenen Anklage vorgeworfen, in fünf Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben (Tatzeitraum: 2. April bis 23. Mai 2020).
Der dringende Tatverdacht ist mit der Auswertung der Kommunikationsdaten des EncroChat-Mobiltelefons mit der Kennung "yyyyy.ncrochat.com" begründet worden, welche zur Identifizierung des Angeklagten geführt habe. Bei dem genutzten Endgerät handelt es sich um ein sogenanntes Krypto-Handy, welches aufgrund einer besonderen Verschlüsselungssoftware als abhörsicher galt, einen hohen Anschaffungspreis hatte und dessen Nutzungsgebühren sich auf bis mehrere tausend Euro jährlich beliefen. Der Erwerb war ausschließlich von anonym agierenden "Resellern" - nicht aber im Direkterwerb - möglich. Zudem waren weder Verantwortliche noch ein Firmensitz des Anbieters EncroChat bekannt, weshalb Strafverfolgungsbehörden länderübergreifend davon ausgingen und gehen, dass diese Telefone überwiegend von Beteiligten krimineller Handlungen - so auch zur kommunikationssicheren Abwicklung von Drogengeschäften - verwendet wurden.
Die deutschen Strafverfolgungsbehörden - so schließlich auch die Staatsanwaltschaft K. - gelangten in den Besitz der zur Ermittlung des Angeklagten als Tatverdächtigem führenden Daten, nachdem es der Staatsanwaltschaft Lille in Frankreich im Rahmen einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe mit den Niederlanden, die gegen die EncroChat-Betreiber u.a. wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung zur Begehung von Straftaten oder Verbrechen ermittelte, unter Beteiligung von Eurojust und Europol im Frühjahr 2020 gelungen war, mittels einer Datenabfanganlage auf den Server einzudringen und die Kommunikation zu entschlüsseln. Hierdurch wurde auf über 32.000 Nutzer-Accounts unter deren Nutzernamen - so auch des Angeklagten - in 121 Ländern zugegriffen. Die technische Vorgehensweise des Zugriffs auf den Server unterliegt in Frankreich der militärischen Geheimhaltung. Den Ermittlungsmaßnahmen - auch soweit sie sich auf das deutsche Hoheitsgebiet erstreckten - lagen ermittlungsrichterliche Anordnungen französischer Strafverfolgungsbehörden zugrunde.
Zu einer Unterrichtung der Bundesrepublik Deutschland als "unterrichteter Mitgliedstaat" durch die Republik Frankreich als "überwachender Mitgliedsstaat" im Sinne von Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen darüber, dass sich die Zielperson der Überwachung auf deutschen Hoheitsgebiet befindet oder befunden hat, kam es nicht, so dass auch eine Mitteilung der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie, dass die Überwachung durchzuführen oder zu beenden sei, unterblieb.
Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main - Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität - beauftragte am 23. März 2020 in ...