Entscheidungsstichwort (Thema)
Multifunktionales Kassensystem bei Tankstellenpacht keine Unterlage i.S.v. § 86a Abs. 1 HGB
Normenkette
HGB §§ 86a, 87d
Verfahrensgang
LG Itzehoe (Urteil vom 24.02.2015) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen I des LG Itzehoe vom 24.2.2015 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.035,28 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.12.2013 zu zahlen; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien dürfen die Zwangsvollstreckung des jeweiligen Gegners durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des für den Gegner aufgrund des Urteils vollsteckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger, Tankstellenagent der Beklagten, verlangt von dieser Rückzahlung einer sog. Kassenpacht, die er - seines Erachtens zu Unrecht - gezahlt hat.
Der Kläger hat von der Beklagten aufgrund des Tankstellen-Agenturvertrags vom 15./21.4.2004 (Anlage B 10) eine Tankstelle in K. als selbstständiger Kaufmann (Handelsvertreter) übernommen, an der er für diese Kraft- und Schmierstoffe auf deren Rechnung vertreibt. Daneben betreibt er als Eigengeschäft im eigenen Namen und auf eigene Rechnung das sog. Shop-Geschäft.
Beiderlei Umsätze werden über eine Registrierkasse abgewickelt, die Bestandteil eines von der Beklagten zur Verfügung gestellten Kassensystems ist, für die der Kläger gemäß einer Nachtragsvereinbarung vom Dezember 2004 (Anlage K 1, Bl. 5) eine Kassenpacht von monatlich 281,21 EUR zzgl. Mehrwertsteuer, derzeit also 334,64 EUR zu zahlen hat. Das Kassensystem besteht aus der eigentlichen Tankstellenkasse (POS - Point of sale) und einem Büroarbeitsplatz (BOS - back-office-system). Auf den Hardware-Komponenten befindet sich eine voraufgespieltes Software, die über buchhalterische Funktionen wie die Erstellung von Tagesabrechnungen, Umsatzsteuererklärungen und betriebswirtschaftlichen Auswertungen verfügt. Über das Kassensystem, auf das die Beklagte per Datenfernübertragung zugreifen kann, wird auch die Abwicklung des Agenturgeschäfts gesteuert. Die Beklagte stellt dergestalt die Preise am sog. Preismast wie auch an den einzelnen Zapfsäulen ein und gibt diese Preise der Kasse vor. Nach einem Tankvorgang wird die Zapfsäule erst freigegeben, wenn die Kasse die Bezahlung registriert hat. Über das Kassensystem "zieht sich" die Beklagte darüber hinaus die vom Kläger zu erteilenden Abrechnungen des Agenturgeschäftes.
Mit der Klage hat der Kläger die in den 54 Monaten vom Januar 2010 bis zum Juni 2014 gezahlte Pacht von 18.070,56 EUR zurückgefordert. Er hat gemeint, die Nachtragsvereinbarung sei unwirksam. Bei dem Kassensystem handele es sich um eine Unterlage i. S. von § 86a Abs. 1 HGB, die die Beklagte ihm unentgeltlich zur Verfügung zu stellen habe. Er hat betont, dass ohne das Kassensystem ein Kraftstoffverkauf praktisch nicht möglich sei. Das System diene sowohl der Darstellung der zu veräußernden Produkte (Kraftstoffe) als auch zur Bedienung der Verkaufseinrichtung.
Die Beklagte hat sich dem entgegengestellt. Gemäß § 86a Abs. 1 HGB müsse sie als Unternehmer nur diejenigen produktspezifischen Hilfsmittel aus ihrer Sphäre bereitstellen, auf die der Kläger zur Ausübung seiner Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit und zur Anpreisung der Ware angewiesen sei. Einen solchen sehr engen Bezug zu dem vertriebenen Produkt habe das Kassensystem nicht. Es handele sich vielmehr - jedenfalls hinsichtlich der Hardware - um eine Büroausstattung, deren Kosten der Handelsvertreter selbst zu tragen habe.
Das LG hat die Beklagte zur vollen Rückzahlung verurteilt. Der Kläger habe die Kassenpacht ohne Rechtsgrund gezahlt, § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB. Die Nachtragsvereinbarung sei unwirksam, weil das Kassensystem zu den erforderlichen Unterlagen i. S. von § 86a Abs. 1 HGB gehöre, die der Unternehmer dem Handelsvertreter unentgeltlich zur Verfügung zu stellen habe. Da das Kassensystem hier speziell auf den Verkauf von Kraftstoffen ausgelegt sei und nicht nur die Preisanzeige am Mast und die Preisanzeige an den Säulen, sondern auch die Bezahlung und Abrechnung mit der Beklagten sowie die Provisionsabrechnung durchführe, sei es eine Unterlage, die für die Werbung der Kunden und die Abrechnung unerlässlich sei. Der Kläger sei zum Abschluss der den Gegenstand des Handelsvertretervertrages bildenden Verträge darauf angewiesen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass hier - anders als im Regelfall eines typischen Handelsvertretervertrages - der Tankstellenpächter den Verkauf der Ware vollständig durchführe, die Ware übergebe, die Bezahlu...