Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen für Erstattungsanspruch der Berufsgenossenschaft gegen den Arbeitgeber bei Mitarbeiterunfall

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Berufsgenossenschaft kann von dem Arbeitgeber Erstattung der Aufwendungen für einen Arbeitsunfall nach § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII nur dann verlangen, wenn eine besonders krasse und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet.

2. Eine am Sinn und Zweck der Unfallverhütungsvorschriften orientierte systematische Auslegung der Vorschriften der BGVC 22 ergibt, dass die Absturzsicherungen während laufender Bauarbeiten abschließend in § 12 BGVC 22 geregelt sind und § 12a BGVC 22 nur für die Zeit danach gilt. Für den Unfall eines mit der Verschalung einer Kellergeschossdecke befassten Mitarbeiters während der noch laufenden Verschalungsarbeiten kann mithin § 12a BGVC 22 nicht angewandt werden.

 

Normenkette

BGB § 276 Abs. 1 S. 2; SGB 7 § 110 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Itzehoe (Urteil vom 24.04.2013; Aktenzeichen 2 O 174/12)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 24.4.2013 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des LG Itzehoe geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages, es sei denn, der Beklagte leistet vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt als gesetzlicher Unfallversicherer vom Beklagten die Erstattung von Aufwendungen für einen Arbeitsunfall des beim Beklagten als Betonbauer/Einschaler angestellten Zeugen W.. Letzterer stürzte am 19.5.2011 gegen 13:15 Uhr auf der Baustelle K. 3 in xxx ca. 2,40 m tief auf einen Betonfußboden. Wegen des erstinstanzlichen Sachvortrages und der im ersten Rechtszug gestellten Anträge der Parteien sowie der tatsächlichen Feststellungen des LG wird Gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das LG hat den Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 56.073,39 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8.6.2012 zu zahlen, und hat außerdem festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin 70 Prozent der künftig für den streitgegenständlichen Arbeitsunfall zu erbringenden Aufwendungen zu erstatten. Das LG hat zur Begründung ausgeführt, der Beklagte habe den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt, den Verletzten treffe allerdings ein Mitverschulden i.H.v. 30 Prozent. Der Beklagte habe daher 70 Prozent der Aufwendungen der Klägerin für den streitgegenständlichen Arbeitsunfall zu erstatten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Der Beklagte trägt zur Begründung seiner Berufung vor:

  • Das LG habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob ein grob fahrlässiger Verstoß gegen § 12a BGVC 22 vorgelegen habe.
  • Ein eventueller Verstoß gegen diese Vorschrift sei jedenfalls nicht unfallursächlich gewesen.
  • Der Zeuge W. habe vom Beklagten die Weisung erhalten, die auf der Trägerlage zu verlegenden Platten zu kürzen und zu vernageln. Anschließend habe eine Absturzsicherung hergestellt werden sollen. Diese Weisung habe der Zeuge W. nicht befolgt. Das sei die Ursache für den späteren Absturz gewesen.
  • Das LG habe offen gelassen, welche Sicherheitsvorkehrungen erforderlich seien.
  • Die vom LG angenommene Mitverschuldensquote von 30 Prozent sei zu gering, da der Zeuge W. nicht nur gegen die oben erwähnte Weisung verstoßen habe. Der Zeuge habe außerdem gegen die im vorliegenden Fall geltende Helmpflicht verstoßen. Letzteres sei jedenfalls für den Umfang der Kopfverletzungen mitursächlich gewesen.
  • Das vom LG angenommene Schmerzensgeld i.H.v. 20.000 EUR sei zu hoch.

Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt unter Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Sachvortrages das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor:

  • Ein höheres Mitverschulden als 30 Prozent könne nicht angenommen werden.
  • Eine Helmpflicht habe im vorliegenden Fall nicht bestanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die bis zum Termin am 17.12.2013 zur Akte gelangten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und das Terminsprotokoll vom 17.12.2013 verwiesen.

II. Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet, da das LG den Beklagten zu Unrecht zur Zahlung von 56.073,39 EUR nebst Zinsen verurteilt und zu Unrecht eine weiter gehende Verpflichtung zur Erstattung künftiger Aufwendungen für den streitgegenständ...

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