Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfall mit besonders geschütztem Verkehrsteilnehmer
Leitsatz (amtlich)
1. Voraussetzungen für einen Entlastungsbeweis des Fahrzeugführers bei einem Unfall mit einem von § 3 Abs. 2a StVO besonders geschützten Verkehrsteilnehmer.
2. Bei einem besonders groben Verkehrsverstoß eines Radfahrers kann die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges vollständig zurücktreten.
Normenkette
StVO § 3 Abs. 2a; StVG §§ 7, 9, 17-18; BGB § 827
Verfahrensgang
LG Itzehoe (Urteil vom 26.05.2010; Aktenzeichen 2 O 374/09) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 26.5.2010 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des LG Itzehoe wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Gründe
Die Klägerin nimmt die Beklagten aus übergegangenem Recht gem. § 116 SGB X als gesetzlicher Krankenversicherer ihres (ehemaligen) Mitgliedes A auf Schadensersatz in Anspruch.
Dem zugrunde liegt ein Unfall vom 23.6.2006, bei dem der seinerzeit 68jährige Versicherte der Klägerin schwerstverletzt wurde, und in dessen Folge er am 22.2.2007 verstarb.
Der Unfall ereignete sich in X auf der ... Straße (Bundesstraße ...) in Höhe der Einmündung der untergeordneten Straße "...". Die Beklagte zu 1. war Fahrerin des von dem Beklagten zu 2. gehaltenen und bei der Beklagten zu 3. gegen Haftpflichtschäden versicherten VW Polo, amtliches Kennzeichen ...; sie befuhr die Y-Straße in Richtung ... Aus Sicht der Beklagten zu 1. von rechts aus der Straße "..." kommend fuhr der Versicherte der Klägerin mit seinem Fahrrad - wobei die Einzelheiten streitig sind - auf die Bundesstraße vor das von der Beklagten zu 1. geführte Fahrzeug. Bei der Kollision mit dem Wagen erlitt der Versicherte der Klägerin u.a. schwere Kopfverletzungen.
Die Klägerin begehrt Ersatz ihrer unfallbedingten Aufwendungen, die sie mit 84.306,88 EUR beziffert.
Zum Unfallhergang selbst ist allein streitig, ob der Versicherte der Klägerin unmittelbar aus der Straße "..." auf die Bundesstraße fuhr oder ob er noch ein Stück auf dem parallel zur Bundesstraße verlaufenden Radweg und sodann gegebenenfalls über den Grünstreifen - wobei wegen der Örtlichkeiten auf die Lichtbilder Blatt 10-12 sowie Blatt 48-56 der Beiakten Staatsanwaltschaft bei dem LG Itzehoe ... Bezug genommen wird - auf die Fahrbahn fuhr.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte zu 1. habe gegen das erhöhte Rücksichtnahmegebot aus § 3 Abs. 2a StVO verstoßen; den Beklagten zu 2. treffe auf jeden Fall die Halterhaftung. Ein eventuelles Mitverschulden ihres Versicherten sei nicht anzurechnen, da davon auszugehen sei, dass er aufgrund einer akuten Schwindelsymptomatik, bedingt durch einen früheren Schlaganfall, i.S.v. § 827 BGB nicht verantwortlich sei.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie 84.306,88 EUR nebst Zinsen i.H.v. je 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. aus 79.255,34 EUR seit dem 10.7.2007 und aus weiteren 5.051,54 EUR seit dem 14.12.2009 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte zu 1. treffe kein Verschulden an dem Unfall, im Übrigen überwiege das Mitverschulden des Versicherten der Klägerin soweit, dass auch eine Haftung des Beklagten zu 2. - gegebenenfalls beschränkt auch nur auf die Betriebsgefahr des Fahrzeuges - außer Betracht zu bleiben habe.
Das LG hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage nach Anhörung der Beklagten zu 1. und der Vernehmung von Zeugen abgewiesen. Dabei hat das LG das in dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigen H vom 29.9.2006 (Blatt 36-62 Beiakte Staatsanwaltschaft bei dem LG Itzehoe ...) verwertet.
Zur Begründung hat das LG im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte zu 1. treffe an dem Unfall kein Verschulden, insbesondere sei sie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch hinsichtlich eines Verstoßes gegen § 3 Abs. 2a StVO entlastet. Angesichts des weit überwiegenden Verschuldens des Versicherten der Klägerin müsse sich der Beklagte zu 2. auch die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges nicht anrechnen lassen. Diese trete hinter das grob verkehrswidrige Verhalten zurück.
Zweitinstanzlich wiederholen und vertiefen die Parteien ihr erstinstanzliches Vorbringen, die Klägerin u.a. durch Vorlage eines Gutachtens des Städtischen Krankenhauses Kiel vom 27.10.2010 (Blatt 193-201 d.A.).
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird ergänzend auf das angefochtene Urteil nebst darin enthaltener Verweisungen Bezug genommen.
Die zulässige Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt und a...