Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Berechnung des Nutzungsvorteils ist bei Fahrzeugen mit Motoren der Baureihe EA 189 bis zu 2.0 Liter Hubraum von einer durchschnittlichen Gesamtfahrleistung von 250.000 km auszugehen.

2. Der Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB enthält eine Rechtsfolgenverweisung auf die Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung. Da es sich bei diesem Anspruch um eine Fortsetzung des Schadensersatzanspruchs in anderem rechtlichen Kleid handelt, ist für die Vermögensverschiebung eine wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgebend.

3. Das Merkmal "erlangt" erfordert keine unmittelbare Vermögensverschiebung zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger. Es reicht, wenn der Vermögenszuwachs bei dem Schädiger und die Vermögenseinbuße bei dem Geschädigten kausal auf die deliktische Handlung zurückzuführen sind. Deshalb ist zwischen Gebraucht- und Neuwagenkauf zu differenzieren. Beim Neuwagenkauf setzt sich die Bereicherung des deliktisch haftenden Herstellers am Händlereinkaufspreis fort (vgl. BGH, Urteil vom 21.2.2022, VIa ZR 57/21).

4. Soweit das Gericht die Händlermarge mangels anderweitiger Anhaltspunkte auf 15 % schätzt ist dies jedenfalls solange nicht zu beanstanden, als der Hersteller die ihm obliegende sekundären Darlegungslast nicht erfüllt.

5. Die Bereicherung des deliktisch haftenden Herstellers nach § 852 BGB setzt sich beim Neuwagenkauf am Händlereinkaufspreis fort (Anschluss an BGH, Urteil vom 21.2.2022, VIa ZR 57/21).

 

Normenkette

BGB §§ 31, 249-251, 826, 852 S. 1

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das angefochtene Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 20.09.2021 geändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.548,84 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.12.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs Volkswagen Caddy, FIN ....

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des unter Ziffer 1. genannten Fahrzeugs seit dem 08.12.2020 in Annahmeverzug befindet.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug hat der Kläger 35 % und die Beklagte 65 % zu tragen. Von den Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug tragen der Kläger 20 % und die Beklagte 80 %.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Itzehoe ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche für einen Pkw, welcher vom sogenannten VW-Abgasskandal betroffen ist.

Der Kläger erwarb am 10.04.2014 bei der Autohaus X den streitgegenständlichen Pkw VW Caddy Trendline "Soccer", 1,6 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ... als Neuwagen zu einem Kaufpreis von 21.061,03 EUR. In dem Fahrzeug ist der Dieselmotor des Typs EA 189 verbaut. Die Beklagte ist Entwicklerin und Herstellerin des in dem Fahrzeug verbauten Motors.

Zum Zeitpunkt der Auslieferung war der Motor wie sämtliche Motoren der Baureihe hinsichtlich der Abgasrückführung (AGR-System) mit zwei Betriebsmodi ausgestattet. Durch eine Software, welche die Prüfsituation (Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus - NEFZ) auf dem Prüfstand erkennt, wurde der Stickoxid-Ausstoß (NOx) auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb verringert. Befindet sich das Fahrzeug im Prüfstand, wird der Abgasrückführungs-Modus 1 verwendet, in dem eine erhöhte Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß stattfindet. Dadurch werden mehr Stickoxide in den Motor zurückgeführt als im Abgasrückführung-Modus 0, der im normalen Fahrbetrieb eingeschaltet ist. Durch den veränderten Modus wird erreicht, dass der Stickoxidausstoß, der das Emissionskontrollsystem erreicht, geringer ist als im normalen Fahrbetrieb. Stickoxide werden also der Messung entzogen. Im normalen Straßenverkehr befand sich das Fahrzeug dagegen durchgehend im Modus 0, bei der es zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und somit zu einem höheren Stickstoffausstoß kam. Diese Abschaltvorrichtung führte dazu, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand die gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte für den NOx-Ausstoß einhielt und in die Schadstoffklasse EURO 5 eingeordnet wurde.

Am 22. September 2015 räumte die Beklagte in einer Ad-hoc-Mitteilung öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software ein. Ferner richtete sie eine Internetplattform ein, in der Fahrzeughalter ermitteln konnten, ob ihr konkretes Fahrzeug mit der Umschaltlogik betroffen war. Im September 2015 teilte die Beklagte zudem im Infonet ihren Vertragshändlern und Servicepartnern mit, dass Fahrzeuge mit dem Motortyp EA 189 über die Umschaltlogik verfügen. In der Folgezeit wurde auch umfangreich in den nationalen und internationalen Medien berichtet.

Das Kraftfahrbundesamt ordnete nach Bekanntwerden Nebenbestimmungen zur EG-Typengenehmigung für die betroffenen Fahrzeuge durch die Beklagte an und vertrat dazu die Auffassung, dass es sich bei der in diesen Fah...

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