Leitsatz (amtlich)
Besteht nach den Bestimmungen einer Reiserücktrittskostenversicherung bei einer unerwartet schweren Erkrankung Versicherungsschutz, ist eine unerwartete Erkrankung zu bejahen, wenn sich eine von einer versicherten Person vor Abschluss der Versicherung durch einen Sturz erlittene Wunde nach Vertragsschluss infiziert und ein den Reiserücktritt notwendig machendes Geschwür (Ulkus) hervorruft.
Setzt die Schwere der Erkrankung nach diesen Bestimmungen voraus, dass die vor der Stornierung ärztlich attestierte gesundheitliche Beeinträchtigung so stark ist, dass die Reise nicht planmäßig durchgeführt werden kann, muss für den Versicherungsfall nur die gesundheitliche Beeinträchtigung ärztlich attestiert sein, nicht auch die Undurchführbarkeit der Reise als Folge hiervon.
Behält sich ein Reiseveranstalter in einer allgemeinen Geschäftsbedingung vor, anstelle einer vorgesehenen Entschädigungspauschale nach § 651h Abs. 2 Satz 1 BGB eine höhere, individuell berechnete Entschädigung zu fordern, soweit er wesentlich höhere Aufwendungen als die jeweils anwendbare Entschädigungspauschale nachweist, liegt hierin keine unangemessene Benachteiligung des Reisenden gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB.
Normenkette
BGB §§ 307, 651h
Verfahrensgang
LG Itzehoe (Urteil vom 05.04.2023; Aktenzeichen 3 O 276/20) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe vom 5. April 2023 abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.188,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. März 2020 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 557,03 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Dezember 2020 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung von Stornierungskosten aus einer Reiserücktrittsversicherung.
Der Kläger buchte online bei dem Reisebüro "t. GmbH" für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn für den 7. bis 22. Februar 2020 eine Pauschalreise nach Kuba bei der Reiseveranstalterin G. R. GmbH (im Folgenden "G.") zu einem Preis von 8.397,00 EUR. Die Reiseleistungen beinhalteten einen Hin- und Rückflug, eine Busrundreise mit wechselnden Übernachtungsorten und weitere Transferleistungen.
In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der t. GmbH (Anl. K18) hieß es auszugsweise wie folgt :
"IV. Reiserücktritt, Stornierung, Umbuchung, Ersatzperson
1.
(...)
Im Fall der Stornierung oder Umbuchung einer Buchung behält sich t das Recht vor, ein eigenes Service-Entgelt pro Vorgang in einer Höhe von 50 EUR pro Person bei einer Reise unter 1 000 EUR und von 150 EUR pro Person bei einer Reise über 1 000 EUR zu erheben. (...)"
Die "Reisebedingungen der R. GmbH (Stand Juni 2019)" (Anl. K14, im Folgenden "Reisebedingungen") lauten auszugsweise folgendermaßen:
"(...)
4. Rücktritt des Kunden vor Reisebeginn/ Rücktrittskosten
(...)
4.2 Treten Sie vor Reisebeginn zurück oder treten Sie die Reise nicht an, so verlieren wir den Anspruch auf den Reisepreis. Stattdessen können wir eine angemessene Entschädigung verlangen, soweit der Rücktritt nicht von uns zu vertreten ist oder am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen; Umstände sind unvermeidbar und außergewöhnlich, wenn Sie nicht unserer Kontrolle unterliegen, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären.
4.3 Die Höhe der Entschädigung haben wir unter Berücksichtigung des Zeitraums zwischen der Rücktrittserklärung und dem Reisebeginn sowie unter Berücksichtigung der erwarteten Ersparnis von Aufwendungen und des erwarteten Erwerbs durch anderweitige Verwendungen der Reiseleistungen pauschaliert. Die Entschädigungspauschalen entnehmen Sie bitte nachstehender Ziffer 19 dieser Reisebedingungen.
4.4 Es bleibt ihnen in jedem Fall der Nachweis gestattet, die uns zustehende angemessene Entschädigung sei wesentlich niedriger als die geforderte Entschädigungspauschale.
4.5 Wir behalten uns vor, anstelle der vorstehenden Entschädigungspauschalen eine höhere, individuell berechnete Entschädigung zu fordern, soweit wir nachweisen, dass uns wesentlich höhere Aufwendungen als die jeweils anwendbare Entschädigungspauschale entstanden sind. In diesem Fall sind wir verpflichtet, die geforderte Entschädigung unter Berücksichtigung der ersparten Aufwendungen sowie abzüglich dessen, was wir durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwerben, konkret zu beziffern und zu begründen.
(...)
19. Entschädigungspauschalen (vgl. Ziffer 4.2 und 4.3)
Die jeweilige Höhe der Entschädigungspauschale ist von der gewählten Reiseleistung und dem Zeitpunkt des Zugangs ihrer Rücktrittserklärung bei uns ...