Normenkette
BGB § 823 Abs. 1, § 847; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Flensburg (Aktenzeichen 4 O 176/00) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 3.8.2001 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des LG Flensburg geändert:
Die Beklagten zu 1) und 3) werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner ein weiteres Schmerzensgeld i.H.v. 6.646,79 Euro (= 13.000 DM), über außergerichtlich gezahlte 7.000 DM hinaus, nebst 4 % Jahreszinsen seit dem 4.5.2000 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner dem Kläger den materiellen Schaden unter Einschluss des Zukunftsschadens aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 5.6.1998 zu ersetzen, soweit er nicht auf öffentlich-rechtliche Versorgungsträger übergegangen ist oder übergeht.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 3) verpflichtet sind, als Gesamtschuldner dem Kläger den immateriellen Zukunftsschaden aus Anlass des Verkehrsunfalles vom 5.6.1998 zu ersetzen.
Wegen der weiter gehenden Zinsen wird die Klage abgewiesen und wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Der Senat hat zu den Beschwerden und Beeinträchtigungen des Klägers ein schriftliches Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dr. med. … eingeholt und den Sachverständigen angehört; wegen des Ergebnisses wird auf den Inhalt des Gutachtens vom 28.6.2002 und des Berichterstattervermerks vom 28.11.2002, auch im Hinblick auf die Anhörung des Klägers, Bezug genommen.
Dem Kläger steht ein Schmerzensgeld i.H.v. 20.000 DM zu, mithin weitere 13.000 DM über außergerichtlich gezahlte 7.000 DM hinaus. Der Verkehrsunfall vom 5.6.1998 ist ursächlich für die vom Kläger noch heute geklagten Schmerzen, Beschwerden und Beeinträchtigungen. Das hat die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme, insb. mit der Anhörung des Klägers und des Sachverständigen Dr. med. X. ergeben.
Zwar hat der Sachverständige eine posttraumatische Anpassungsstörung nicht als persistierend, sondern nur für sechs Monate festmachen können, er hat aber einen somatoformen Schmerzzustand auch heute noch andauernd festgestellt. Soweit er in seinen schriftlichen Gutachten eine Begehrensneurose angenommen hat, hat er das bei seiner Anhörung vor dem Senat relativiert: „Zum Hinweis des Berichterstatters, dass bei einer Konversionsneurose die Kompensation nicht in direkter Arbeitsverweigerung bestehe, der Geschädigte stattdessen den ihm zugefügten Schmerz in somatische Beschwerden konvertiere, die dann ihrerseits seine Erwerbsfähigkeit beeinträchtigen, dass bei der Konversionsneurose in Parallele zur Rentenneurose das Unfallgeschehen unbewusst zum Anlass für die Kompensation latenter innerer Konflikte genommen werde: Dem kann ich folgen.”
Das deckt sich damit, dass der Kläger bis heute nicht aus dem Arbeitsleben ausgeschieden, vielmehr trotz seiner Beschwerden und Beeinträchtigungen weiterhin als Elektriker in der … tätig ist; er hat insoweit spontan auf die Ausführungen des Sachverständigen vor dem Senat reagiert: „Was soll ich denn anders machen, soll ich denn nicht weiter arbeiten, soll ich zu Hause bleiben?”
Dass der Sachverständige im Hinblick auf eine Konversionsneurose klinisch-diagnostische Befunde vermisst („Ich muss noch einmal darauf hinweisen, dass beim Kläger kein entsprechender Befund ist; wir haben insoweit nur die subjektive Äußerung von Beschwerden”), hindert den Senat nicht, im Rahmen der Wahrscheinlichkeitsbetrachtung nach § 287 ZPO die glaubhaften Angaben des Klägers zugrunde zu legen, zumal der Sachverständige auch ausgeführt hat, dass er glaube, dass der Kläger die geschilderten Beschwerden im Verlauf der Zeit empfinde. Gegen die Annahme einer reinen Begehrensneurose (dass Begehrensvorstellungen so sehr im Vordergrund stehen, dass eine Kausalitätszurechnung nicht in Betracht kommt) spricht zudem, dass sich der Anknüpfungspunkt des Sachverständigen (Streit des Klägers mit dem Bruder, Stichwort: Hoferbe) im gesamten Leben des Klägers nirgendwo manifestiert hat. Das Begehren mag mit ein Motor sein, es ist aber ein Begehren, das gewachsen ist, das schon in der Kindheit angelegt worden ist. Das deckt sich mit neueren psychologischen Erkenntnissen, wonach das Begehren zwar ein Symptom, nicht aber der wesentliche oder allein ausschlaggebende Faktor ist, und bei derartigem psychischem Fehlverhalten die Persönlichkeitsstruktur des Geschädigten sowie Fehlverarbeitungen oder erhebliche Belastungen im persönlichen Bereich, die durch ein Unfallereignis zum Ausbruch gelangen können, eine wesentliche Rolle spielen.
Dass nach dem Sachverständigen die gleichen Beschwerden beim Kläger auch ohne den Unfall, durch alltägliche Erlebnisse, irgendwann ausgelöst worden wären, ändert nichts an der Kausalitätszurechnung; dass es tatsächlich ohne den Verkehrsunfall zu den gleichen Beschwerden gekommen wäre, ist und bleibt ...