Leitsatz (amtlich)

1. Rechtsmissbräuchlich i.S.d. Art. 166 Abs. 2 n.F., 134 türk. ZGB kann bereits der erste Widerspruch des anderen Ehegatten ggü. einer Scheidungsklage sein (entgegen OLG Karlsruhe FamRZ 1998, 477).

2. Ein Rechtsmissbrauch ist dann zu verneinen, wenn ein schutzwürdiges Interesse des widersprechenden Ehepartners an der Aufrechterhaltung der Ehe besteht.

 

Normenkette

EGBGB Art. 17 Abs. 1, Art. 14; türk. ZGB Art. 166 n.F.; Türk. ZGB Art. 134

 

Verfahrensgang

LG Lübeck (Aktenzeichen 126 F 344/01)

 

Tenor

Das Urteil des AG – FamG – Lübeck vom 13.11.2002 wird geändert.

Die am 20.8.1970 in Istanbul – Türkei geschlossene Ehe der Parteien wird geschieden.

Die Kosten des Rechtsstreites in beiden Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

 

Tatbestand

Die Parteien, die beide die türkische Staatsangehörigkeit haben, haben am 20.8.1970 in Istanbul die Ehe geschlossen. Die Eheleute leben seit August 2001 voneinander getrennt.

Der Antragsteller hat in erster Instanz die Auffassung vertreten, die Ehe sei gescheitert.

Er hat beantragt, die Ehe der Parteien zu scheiden.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Scheidungsantrag zurückzuweisen.

Das AG – FamG – hat den Scheidungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt:

Das Scheidungsbegehren sei auf Art. 166 n.F. des türkischen Zivilgesetzbuches zu stützen. Nach dieser Vorschrift könne eine Ehe dann geschieden werden, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft so grundlegend zerrüttet sei, dass dem Ehegatten die Fortsetzung nicht zugemutet werden könne. Diese Voraussetzungen hat das FamG nach der persönlichen Anhörung beider Ehegatten als gegeben erachtet. Es hat allerdings die Auffassung vertreten, die Antragsgegnerin habe wirksam von ihrem Widerspruchsrecht nach Art. 166 Abs. 2 ZGB Gebrauch gemacht. Der Widerspruch der Antragsgegnerin sei auch nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die im ersten Rechtszug gewechselten Schriftsätze sowie das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Der Antragsteller führt zur Begründung der Berufung aus:

Bei der Frage, ob der Antragsgegnerin ein Widerspruchsrecht zustehe, dürfe nicht auf die Verhältnisse beider Parteien abgestellt werden, vielmehr komme es auf den Zeitpunkt der Widerspruchserhebung an. Widerspruch sei erstmals im Schriftsatz vom 22.1.2002 erhoben worden und dem Antragstellervertreter erst am 12.8.2002 zugegangen. Sowohl Mitte August 2002 als auch beim Termin zur mündlichen Verhandlung sei die Situation zwischen den Eheleuten qso gewesen, dass weder die eine noch die andere Partei überhaupt auf den Ehepartner zugegangen sei. Die Antragsgegnerin habe es auch an jeglicher ehelicher Gesinnung fehlen lassen, obwohl sie gewusst habe, dass der Antragsteller psychisch stark beeinträchtigt gewesen sei. Nach dem Hinweis auf den Suizidversuch des Antragstellers habe die Antragsgegnerin erwidern lassen, er habe den Suizidversuch inszeniert, um die Antragsgegnerin und die gemeinsamen Kinder in Angst und Schrecken zu versetzen. Wer so wenig Verständnis für die Nöte seines Ehepartners aufbringe, dem könne nicht abgenommen werden, dass er überhaupt noch eine Bindung an den anderen Ehepartner habe. Sofern die Trennung andauere, ohne dass wieder Annäherungsversuche gemacht würden, könne ein Widerspruch gegen die beantragte Scheidung nicht als beachtlich angesehen werden.

Der Antragsteller beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Ehe der Parteien zu scheiden.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Berufung des Antragstellers zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin behauptet, es habe immer wieder während der Ehe Streit miteinander gegeben. Das Verhalten des Antragsstellers sei auf seine psychische Erkrankung und den Alkoholkonsum zurückzuführen. Sofern der Antragsteller bereit sei, sich einer Therapie zu unterziehen habe er es selbst in der Hand, ob die Ehe fortgeführt werde, eine positive Zukunftsprognose für die Ehe könne daraus noch gestellt werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist begründet.

Die Ehe der Parteien war nach Art. 166 n.F. des türkischen Zivilgesetzbuches zu scheiden. Aufgrund der Anhörung der Parteien steht zur Überzeugung des Senates fest, dass die eheliche Lebensgemeinschaft so grundlegend zerrüttet ist, dass den Ehegatten die Fortsetzung nicht zugemutet werden kann.

Der Antragsteller weigert sich, die eheliche Lebensgemeinschaft mit der Antragsgegnerin wieder herzustellen. Auch die Antragsgegnerin ist hierzu nicht bereit. Sie kann sich eine Rückkehr zum Antragsteller allenfalls dann vorstellen, wenn dieser bereit ist, sich einer psychologischen Behandlung zu unterziehen. Diese Bereitschaft besteht aber beim Antragsteller gerade nicht.

Dem Scheidungsbegehren des Antragstellers steht auch nicht der von der Antragsgegnerin erhobene Widerspruch entgegen. Nach Art. 166 Abs. 2 ZGB hat der Beklagte Ehegatte das Recht, der Scheidungsklage zu widersprechen, wenn das Verschulden des klagenden Teils überwiegt. Zwar hat die Antragsgegnerin erklärt, z.Zt. nicht geschieden werden z...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge