Entscheidungsstichwort (Thema)

Amtspflichten einer Stadt bei der Ermittlung des individuellen Betreuungsbedarfs eines Kindes in einer Krippe aus den Angaben der Eltern im Anmeldeformular

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Stadt verletzt ihre Amtspflichten bei der Ermittlung des individuellen Betreuungsbedarfs eines Kindes in einer Krippe nicht, wenn sie sich auf schriftliche Angaben der Eltern in einem Anmeldeformular verlässt.

Ein Hinweis in dem Formular darauf, dass bei bestimmten Anmeldezeitpunkten die Chancen auf den gewünschten Krippenplatz höher sind, ist nicht pflichtwidrig.

 

Normenkette

BGB § 839 Abs. 1; SGB VIII § 24 Abs. 2; VwG SH § 83

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 23.12.2020 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf bis 13.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Nach §§ 313a Abs. 1 S. 1, 540 Abs. 2 ZPO bedarf es weder einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil noch einer Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen, denn nach § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist ein Rechtsmittel gegen das Berufungsurteil, das die Klägerin nicht mit mehr als 20.000,00 EUR beschwert, unzweifelhaft nicht zulässig. Nach § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO wird kurz begründet, weshalb die angefochtene Entscheidung auf die Berufung zu ändern war.

Die Berufung der beklagten Stadt hat Erfolg. Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte.

Als Grundlage des Schadensersatzanspruchs kommt § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG infrage. Die Beamten der Beklagten haben aber keine Amtspflichten bei der Versorgung des Kindes der Klägerin mit einem Krippenplatz verletzt.

1. Die Pflicht zur Bereitstellung eines Krippenplatzes gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII ist Amtspflicht, deren Verletzung Schadensersatzansprüche der Eltern auslösen kann (vgl. BGH, Urteil vom 20.10.2016, III ZR 278/15, Rn. 15). Dabei kann auch der Verdienstausfallschaden ersetzt verlangt werden (vgl. BGH a.a.O. Rn. 35).

Verpflichtet ist der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach § 24 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 SGB VIII, danach ist ein Kind in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege ab Vollendung des ersten Lebensjahres zu fördern. Der Umfang der täglichen Förderung richtet sich dabei nach dem individuellen Bedarf. Diesen individuellen Bedarf hat die Beklagte pflichtgemäß ermittelt.

2. Die Beklagte musste nicht davon ausgehen, dass sie dem Kind schon ab dem 07.06.2018 einen Platz zur Verfügung stellen musste. Zwar hatte die Klägerin den Betreuungsbedarf schon kurz nach der Geburt des Kindes per E-Mail am 19.06.2017 für die Zeit ab dem ersten Geburtstag geltend gemacht. Ab dem 07.06.2018 war dieser Anspruch fällig. Dass tatsächlich ab diesem Zeitpunkt individueller Betreuungsbedarf für das Kind bestand, hat die Beklagte aber pflichtgemäß verneint.

Denn am 22.06.2017 hat die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann in dem an die Beklagte gerichteten Aufnahmeantrag für einen städtischen Kindergarten (Anlage B4) angegeben, dass sie eine Betreuung ab dem auf die Vollendung des ersten Lebensjahres folgenden 1. August wünsche. Aufgrund dieser schriftlichen Erklärung musste die Beklagte für die Zeit davor keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellen. Anders als das Landgericht sieht der Senat diese Angabe der Eltern nicht als unerheblich an. Zwar hängt die Fälligkeit des Betreuungsanspruchs von einer Datumsangabe nicht ab. Auch ist nach § 83 LVwG die Behörde verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, muss also grundsätzlich selbst herausfinden, ab wann das Kind betreut werden soll. Allerdings ist in der Bearbeitung des ausgefüllten Formulars vom 22.06.2017 diese pflichtgemäße Ermittlung zu sehen. Die Gemeinde kann sich darauf verlassen, dass die Eltern die ihnen zur Verfügung gestellten Formulare sorgfältig ausfüllen. Die Angaben auf dem Formular waren auch plausibel, wenn es dort heißt, dass die Mutter, also die Klägerin, Elternzeit bis zum 01.09.2018 geplant hat. Wenn man - wie die Klägerin - von einem Monat der Eingewöhnung in der Pflegeeinrichtung ausgeht, dann entspricht dies dem Wunsch nach einem Betreuungsbeginn ab 01.08.2018. Anlass, bei den Eltern nachzufragen, bestand deshalb nicht. Dies gilt auch dann, wenn die Klägerin zuvor mündlich den Bedarf für einen früheren Platz mitgeteilt hat, wie es in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 22.08.2021 heißt. Denn diese mündliche Angabe war durch den schriftlichen Antrag überholt. Für die Beklagte erkennbar bestand der Bedarf deshalb frühestens ab dem 01.08.2018. Damit scheidet ein Schadensersatzanspruch für die Monate Juni und Juli 2018 aus.

3. Pflichten hat die Beklagte auch nicht deshalb verletzt, weil ihre Beratung der Klägerin wegen des mündlichen und auch im Antragsformular enthaltenen Hinweises falsch war, dass bei einer Anmel...

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