Leitsatz (amtlich)

Kein Vorsatz des ursprünglich sittenwidrig Handelnden, wenn dieser zum Zeitpunkt eines späteren Verkaufs eines Gebrauchtfahrzeuges, das mit einer Manipulationssoftware ausgestattet ist, alles aus seiner Sicht Erforderliche getan hat, um potentielle Käufer von der Betroffenheit des konkreten Fahrzeuges zu informieren.

Kein Vorsatz zur sittenwidrigen Schädigung, wenn an der Aufklärung der Allgemeinheit und potentieller Gebrauchtwagenkunden mitgewirkt wird.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 826

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 29.03.2019, Az. 12 O 298/18, wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Kiel ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt die Rückabwicklung eines Pkw-Kaufvertrages gegenüber der Herstellerin.

Die Klägerin erwarb im Januar 2016 einen gebrauchten XXX 1,6l TDI (Erstzulassung 19.04.2012) gegen Zahlung von 15.500,00 EUR brutto, vom Autohaus T in S, einem Vertragshändler der Beklagten (Anlage K9a, Bl. 42 d. A.). Zu diesem Zeitpunkt hatte der Wagen bereits eine Gesamtfahrleistung von 84.266 km. Die Klägerin hat den Kaufpreis teilweise finanziert, hierfür hat sie 569,71 EUR Zinsen aufgewandt.

Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. In dem Fahrzeug ist eine Motorensteuerungsgerätesoftware installiert, die erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt, und dann einen besonderen Modus aktiviert (sog. Umschaltlogik). In diesem Modus wird die Rückführung von Abgasen im Vergleich zu dem normalen Betriebsmodus verändert, wodurch der nach der Euro-5-Norm vorgegebene NOx-Grenzwert während des Durchfahrens des NEFZ eingehalten wird. Im normalen Fahrbetrieb - auch unter vergleichbaren Bedingungen wie im NEFZ - wird dieser Modus deaktiviert, wodurch es zu einem höheren Schadstoffausstoß kommt. Durch Verwendung der Motorensteuerungsgerätesoftware erlangte die Beklagte die EG-Typengenehmigung für das Fahrzeug.

Ende September 2015 wurde der sog. Abgasskandal mit der Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten über die manipulierten Dieselmotoren publik und es wurde in den nationalen und internationalen Medien berichtet.

Am 15.10.2015 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) den Rückruf von 2,4 Millionen Fahrzeugen der Herstellerin an; wegen des Inhalts der Online-Bekanntmachung wird auf Anlage K2, Bl. 21 d. A., Bezug genommen. Das Kraftfahrt-Bundesamt verpflichtete die Beklagte mit Bescheid vom 14.10.2015, bei allen betroffenen Fahrzeugen mit dem Motor EA 189 EU5 die aus Sicht des Bundesamtes unzulässige Abschaltvorrichtung zu entfernen und nachzuweisen, dass die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden. Der Bescheid ist bestandskräftig. Die Beklagte entwickelte ein Update für die Motorensteuerungsgerätesoftware, nach dessen Einspielen das Fahrzeug nur noch über einen einheitlichen Betriebsmodus verfügt.

Das Kraftfahrt-Bundesamt sieht das Aufspielen des Updates als verpflichtend an. Wer davon absieht, muss damit rechnen, dass der Zustand des Fahrzeugs von den Prüforganisationen im Rahmen der Hauptuntersuchung als erheblicher Mangel eingestuft wird. Unter Umständen ist auch mit einer behördlichen Betriebsuntersagung zu rechnen.

Das von der Beklagten angebotene Software-Update ist in das streitgegenständliche Fahrzeug am 12.01.2017 eingespielt worden.

Die Klägerin nutzte das Fahrzeug nach dem Kauf. Zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz betrug die Laufleistung 153.640 km.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe von der Rückrufaktion und von dem "Abgasskandal" erstmals mit der schriftlichen Aufforderung zur Einspielung des Updates Kenntnis erlangt, die Umweltfreundlichkeit ihres Fahrzeugs bezüglich Verbrauch und Schadstoffausstoß sei auch ein Kaufargument gewesen. Hätte die Klägerin von der "Umschaltlogik" oder der Notwendigkeit eines Software-Updates gewusst, hätte sie sich nicht für das Fahrzeug entschieden. Durch das Software-Update komme es zu einem Mehrverbrauch an Kraftstoff und die Start-Stopp-Automatik funktioniere nicht mehr.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, das klägerische Fahrzeug sei nicht mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung versehen worden, da die streitgegenständliche Software nicht auf das Emissionskontrollsystem einwirke, sondern nur dazu führe, dass Abgase beim Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus in den Motor zurückgeführt würden, bevor sie überhaupt das Emissionskontrollsystem erreichen, ohne im realen Fahrbetrieb auf das Emissionskontrollsystem einzuwirken. Entscheidend sei, dass das Fahrzeug technisch sicher, in seiner Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt und die für das Fahrzeug erteilte EG-Typengenehmigung nicht aufgehoben worden sei. Durch die Freigabebestätigung des Kraftfahrt-Bundesamtes für das Software-Update stehe fest, dass es nach Durchführung der Software-Updates zu keinerle...

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