Rz. 60

Der in dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vorgesehene Entschädigungsanspruch gegen den Staat schließt eine Rechtsschutzlücke, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) widersprach.[94] Das deutsche Verfassungsrecht und das Konventionsrecht garantieren einen gerichtlichen Rechtsschutz in angemessener Zeit.[95] Der EGMR stellte zur vorherigen Rechtslage indes fest, dass die Rechtsschutzmöglichkeiten in Deutschland bei überlanger Verfahrensdauer nicht den Anforderungen der Art. 6 Abs. 1, Art. 13 EMRK entsprachen.[96]

 

Rz. 61

Der Gesetzgeber hat sich für eine Entschädigungslösung entschieden und sich dagegen ausgesprochen, statt der Gewährung einer Entschädigung einen Rechtsbehelf bei unangemessener Verfahrensdauer einzuführen.[97] Die Entschädigungslösung ist in den §§ 198201 GVG für die ordentliche Gerichtsbarkeit geregelt. Durch Verweisvorschriften (z.B. § 173 S. 2 VwGO) werden auch die anderen Gerichtsbarkeiten erfasst.

 

Rz. 62

Nach § 198 Abs. 1 GVG werden einem betroffenen Verfahrensbeteiligten die aus der Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer resultierenden Nachteile ersetzt.[98] Ein von überlanger Verfahrensdauer Betroffener kann und muss zunächst beim Ausgangsgericht die Dauer des Verfahrens rügen (Verzögerungsrüge), bevor er beim Entschädigungsgericht einen Anspruch geltend machen kann (§ 198 Abs. 3 S. 1 GVG).[99] Da Gerichte auf entsprechende Rügen mit Abhilfe reagieren können und in begründeten Fällen auch regelmäßig abhelfen werden, hat die Regelung eine konkret-präventive Beschleunigungswirkung.[100]

 

Rz. 63

Auch bei einem überlangen RVG-Verfahren kann ein Entschädigungsanspruch denkbar sein. Allerdings gibt es – anders als in den Verfahrensordnungen – im RVG keinen Verweis auf die §§ 198201 GVG.

[94] BT-Drucks 17/3802, S. 15.
[95] BT-Drucks 17/3802, S. 15.
[96] Vgl. EGMR NJW 2006, 2389.
[97] BT-Drucks 17/3802, S. 15 f.; Ausnahme nunmehr: §§ 155b, 155c FamFG.
[98] Zu Einzelheiten vgl. den Erfahrungsbericht der Bundesregierung in BT-Drucks 18/2950.
[99] Vgl. auch BT-Drucks 17/3802, S. 16.
[100] BT-Drucks 17/3802, S. 16.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?