I. "Volle Gebühr" (Abs. 1 S. 1 und 2)
Rz. 9
In Abs. 1 S. 1 und 2 sind die Beträge einer Gebühr festgelegt. Gemeint ist damit die frühere "volle Gebühr", also eine 1,0-Gebühr. Der jeweilige Betrag, nach dem sich die Gebühr bemisst, ist von dem zugrunde liegenden Gegenstandswert abhängig (§ 2 Abs. 1).
Rz. 10
Die volle Gebühr (1,0) beginnt mit einem Betrag i.H.v. 45 EUR. Mit zunehmendem Gegenstandswert erhöht sich stufenweise auch der Betrag einer vollen Gebühr. Dabei ist in die Erhöhungen eine Degression eingearbeitet worden. Die Wertstufen, nach denen jeweils ein Gebührensprung stattfindet, vergrößern sich mit steigendem Gegenstandswert von anfangs 500 EUR auf schließlich 50.000 EUR. Gleichzeitig verringern sich die Gebührensprünge, so dass die Degression bei hohen Streitwerten erheblich ist.
Rz. 11
Ist der Anwalt im Rahmen der Prozess-/Verfahrenskostenhilfe oder anderweitig beigeordnet oder bestellt worden, kann er gegenüber der Staatskasse ab einem Gegenstandswert von mehr als 4.000 EUR nicht mehr nach den Gebührenbeträgen des Abs. 1 S. 1 und 2 abrechnen. Die §§ 44 ff. enthalten insoweit in § 49 eine Spezialregelung, die der des Abs. 1 S. 1 und 2 vorgeht (§ 45).
Rz. 12
Soweit der beigeordnete Anwalt dagegen die weitere Vergütung nach § 50 erhält oder er seine Vergütung nach § 126 Abs. 1 ZPO gegen den erstattungspflichtigen Gegner geltend machen kann, sind auch für ihn insoweit die Beträge nach Abs. 1 maßgebend.
II. Berechnung der Dezimalgebühren
Rz. 13
Ausgewiesen sind in Abs. 1 S. 2, 3 i.V.m. Anlage 2 (zu § 13 Abs. 1 S. 3) die vollen Beträge, also die Beträge, die einem Satz von 1,0 entsprechen.
Rz. 14
Soweit dem Anwalt eine 1,0-Gebühr zusteht, braucht er den jeweiligen Betrag nur aus der Gebührentabelle des Abs. 1 S. 2, 3 abzulesen.
Rz. 15
Soweit abweichende Dezimalgebühren vorgesehen sind, also Gebühren unterhalb der 1,0-Gebühr (0,3; 0,5; 0,75 o.Ä.) oder höhere Gebühren (1,2; 1,3; 2,5 o.Ä.), errechnen sich diese, indem der Tabellenbetrag der vollen Gebühr mit der jeweiligen Dezimalzahl multipliziert wird.
Beispiel: Eine 0,3-Gebühr aus dem Wert von 5.000 EUR (Tabellenbetrag 330 EUR) berechnet sich wie folgt: 0,3 x 334 EUR = 100,20 EUR. Eine 1,6-Gebühr berechnet sich folgendermaßen: 1,6 x 334 EUR = 534,40 EUR.
Rz. 16
Eine anschließende Auf- oder Abrundung der Gebührenbeträge, ist nur ab der dritten Dezimalstelle, also bei Beträgen unter einem Cent vorgesehen. Diese Rundungsregelung findet sich in § 2 Abs. 2 S. 2 (siehe § 2 Rdn 42 f.).
III. Gebührentabelle (Abs. 1 S. 3; Anlage 2)
Rz. 17
Eine Gebührentabelle für volle Gebühren bis zu einem Gegenstandswert von 500.000 EUR ist dem Gesetz bereits als Anlage 2 beigefügt (vgl. Abs. 1 S. 3).
IV. Mindestbetrag (Abs. 2)
Rz. 18
Nach Abs. 2 beläuft sich der Mindestbetrag einer Gebühr auf 15 EUR. Die Anwendung dieser Vorschrift kommt nur für Gebührensätze unter 0,4 und auch dort nur bei niedrigen Gegenstandswerten zum Tragen.
Beispiel: Der Anwalt ist mit einem einfachen Schreiben oder einer Vollstreckungsmaßnahme beauftragt. Der Gegenstandswert beträgt 250 EUR.
Der Gebührensatz beläuft sich in beiden Fällen auf 0,3 (Einfaches Schreiben VV 2301, Zwangsvollstreckung VV 3309). Die Gebühr würde sich demnach auf 0,3 x 49 EUR = 14,70 EUR belaufen. Die Gebühr wird daher nach Abs. 2 auf 15 EUR angehoben.
Rz. 19
Die Vorschrift des Abs. 2 gilt nur für Gebühren, nicht auch für Erhöhungen. Daher ist diese Vorschrift nicht auf die Gebührenerhöhung nach VV 1008 anwendbar, da es sich bei dieser Erhöhung nicht um eine Gebühr handelt.
Beispiel: Der Anwalt erhebt für zwei Auftraggeber gemeinschaftlich Klage nach einem Wert von 300 EUR.
Die Verfahrensgebühr beläuft sich auf 1,3, also 63,70 EUR. Diese Gebühr erhöht sich nach VV 1008 um 0,3 auf 1,6, also auf 78,40 EUR. Die Erhöhung beträgt demnach 14,70 EUR. Dennoch kommt eine Heraufsetzung der Erhöhung nach Abs. 2 auf 15 EUR nicht in Betracht.
Rz. 20
Ebenfalls nicht anwendbar ist Abs. 2 auf das nach einer Gebührenanrechnung verbleibende Aufkommen, da es sich insoweit nur um einen rechnerischen Differenzbetrag handelt, nicht aber um eine eigene Gebühr. Abs. 2 ist auch nicht auf Auslagen (z.B. Schreibgebühren, Telekommunikationsentgelte) anwendbar.
Rz. 21
Für die Hebegebühr gilt Abs. 2 ebenfalls nicht, da VV 1009 eine spezielle Regelung enthält und eine eigene Mindestgebühr (1 EUR) vorsieht.
Rz. 22
Umstritten war die Gebührenberechnung bei mehreren Aufraggebern nach § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO, wenn die nicht erhöhte Gebühr unter dem Mindestbetrag lag. Diese Streitfrage stellt sich nach VV 1008 weiterhin.
Beispiel: Der Anwalt erhält von zwei Auftraggebern gemeinschaftlich den Auftrag, wegen einer Forderung von 250 EUR zu vollstrecken. Ohne die Anwendung der VV 1008 würde sich die 0,3-Verfahrensgebühr für die Vollstreckung nach VV 3309 auf 15 EUR belaufen.
Rz. 23
Nach einer Auffassung ist zunächst einmal die jeweilige Gebühr ohne Erhöhung zu ermitteln und gegebenenfalls auf die Mindestgebühr heraufzusetzen. Erst hiernach ist dann die Erhöhung um 0,3 vorzunehmen.
Danach wäre also im Beispiel zunächst der Betrag von 14,70 EUR auf 15 EUR aufzurunden und anschließend um 0,3 auf 29,70 EUR...