Rz. 104
Einer der Hauptanwendungsfälle des Abs. 2 ist die Anrechnung einer Geschäftsgebühr des Verwaltungsverfahrens auf die Geschäftsgebühr des nachfolgenden Überprüfungsverfahrens.
Rz. 105
Beispiel: Der Anwalt war in einem verwaltungsrechtlichen Verwaltungsverfahren tätig und anschließend im Widerspruchsverfahren.
Angefallen ist sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Widerspruchsverfahren eine Geschäftsgebühr nach VV 2300 mit einem Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5. Dabei ist für jede Gebühr der Gebührensatz gesondert nach Abs. 1 RVG zu bestimmen, und zwar insbesondere nach Umfang und Schwierigkeit.
Rz. 106
Faktisch ist es jetzt so, dass das Widerspruchsverfahren für den Anwalt dadurch etwas weniger umfangreich und schwieriger geworden ist, dass er zuvor im Verwaltungsverfahren tätig war und sich dort bereits eingearbeitet hatte. Von daher hätte man strikt nach dem bisherigen Wortlaut des § 14 Abs. 1 RVG die Vorbefassung mindernd berücksichtigen müssen.
Rz. 107
Dieses Vorgehen würde aber dem Anrechnungssystem widersprochen. Ein vorbefasster Anwalt würde dann nämlich doppelt benachteiligt. Zum einen wäre der Gebührensatz im Widerspruchsverfahren aufgrund der vorangegangenen Tätigkeit im Verwaltungsverfahren geringer anzusetzen. Zum anderen würde sich die Vergütung im Widerspruchsverfahren noch um die Anrechnung der vorherigen Geschäftsgebühr verringern. Daher war in VV Vorb. 2.3 Abs. 4 S. 3 bereits nach der bisherigen Fassung klargestellt, dass die Vorbefassung im Verwaltungsverfahren bei der Gebührenbestimmung im Widerspruchsverfahren nicht mindernd berücksichtigt werden darf. Dabei bleibt es, lediglich mit dem Unterschied, dass sich diese Regelung jetzt nicht mehr aus VV Vorb. 2.3 Abs. 4 S. 3, sondern in dem neuen Abs. 2 ergibt.
Rz. 108
Die gleiche Regelung galt in sozialrechtlichen Verfahren, deren Abrechnung sich gem. § 3 RVG nach Betragsrahmen richtet. Da hier – im Gegensatz zu den Wertgebühren – auch im gerichtlichen Verfahren Rahmengebühren entstehen, war eine weitere entsprechende Regelung in VV Vorb. 3 Abs. 4 S. 3 enthalten.
Rz. 109
Beispiel: Der Anwalt war in einem sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren tätig, anschließend im Widerspruchsverfahren und hiernach im Klageverfahren.
Anzuwenden sind jeweils nach § 3 Abs. 1 Betragsrahmengebühren. Dabei ist die Höhe der Gebührenbeträge jeweils nach Abs. 1 zu bestimmen, und zwar insbesondere nach Umfang und Schwierigkeit.
Rz. 110
Es galt auch hier zunächst einmal VV Vorb. 2.3 Abs. 4 S. 3, wonach die Vorbefassung im Verwaltungsverfahren bei der Bestimmung der Gebühr für das Widerspruchsverfahren nicht berücksichtigt werden durfte. Für die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens (VV Nr. 3102) wiederum galt VV Vorb. 3 Abs. 4 S. 3, wonach jetzt die Vorbefassung im Widerspruchsverfahren nicht mindernd berücksichtigt werden durfte. Auch hier gilt die bisherige Rechtslage fort, lediglich mit dem Unterschied, dass sich diese Rechtsfolgen jetzt nicht mehr aus VV Vorb. 2.3 Abs. 4 S. 3 und Vorb. 3 Abs. 3 S. 3 VV RVG ergeben, sondern im neuen Abs. 2 verankert sind.
Rz. 111
Schließlich war auch VV Vorb. 6.4 Abs. 2 S. 3 geregelt, dass eine Vorbefassung in einem Verfahren über die Beschwerde oder über eine weitere Beschwerde vor einem Disziplinarvorgesetzten (VV Nr. 2302 Nr. 2) nicht zu einer geringeren Bemessung der Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens vor dem Truppendienstgericht (VV 6400) führen darf. Auch hierfür gilt jetzt Abs. 2.
Rz. 112
Da der Gesetzgeber erkannt hat, dass es noch weitere Anrechnungsfälle bei Rahmengebühren gibt, in denen eine Doppelverwertung der Vorbefassung ausgeschlossen werden muss, hat er die drei vorgenannten speziellen Regelungen verallgemeinert und systematisch zutreffend in Abs. 2 RVG verankert.
Rz. 113
Weitere Fälle kommen insbesondere in sozialrechtlichen Angelegenheiten vor, in denen gem. § 3 RVG nach Betragsrahmengebühren abzurechnen ist.
Rz. 114
Beispiel: Der Anwalt war in einem Verfahren vor dem SG tätig. Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt, worauf das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Sache an das SG zurückgegeben hat.
Im Verfahren nach Zurückverweisung entstehen alle Gebühren erneut (§ 21 Abs. 1). Allerdings ist die Verfahrensgebühr des Verfahrens vor Zurückverweisung auf die Verfahrensgebühr nach Zurückverweisung anzurechnen. Würde man jetzt die Vorbefassung nach Abs. 1 mindernd berücksichtigen, käme man jedenfalls über eine Mittelgebühr nicht hinaus. Diese würde dann infolge der Anrechnung nach VV Vorb. 3 Abs. 6 untergehen. Damit würde sich die weitere Tätigkeit nach Zurückverweisung auf die Gebührenhöhe überhaupt nicht auswirken.
Nach dem neuen Abs. 2 ist die Gebühr im Verfahren nach Zurückverweisung so zu bemessen, als habe es keine Vorbefassung im Verfahren vor Zurückverweisung gegeben. Faktisch sind jetzt im Verfahren nach Zurückverweisung alle Kriterien das Verfahrens vor und nach Zurückverweisung zu berücksichtigen und danach die Gebühr im Verfahren nach Zurückverweisung zu bestimmen. Anschließend ist ...