a) Verbindlichkeit gegenüber dem Auftraggeber oder der Staatskasse
Rz. 80
Die Bestimmung des Anwalts muss der Billigkeit entsprechen. Eine Gebühr ist nicht mehr billig, wenn sie nicht mehr hinnehmbar ist. Voraussetzung dafür ist, dass die angesetzte Gebühr die in vergleichbaren Fällen angemessene deutlich übersteigt. Dagegen will das OLG Koblenz die Unbilligkeitsregelung des § 14 Abs. 1 S. 4 auch dann anwenden, wenn der Rechtsanwalt seinem eigenen Mandanten eine zu geringe Gebühr in der Absicht berechnet, dadurch eine höhere Kostenerstattung von dem im Rechtsstreit unterlegenen Prozessgegner zu erlangen. Hintergrund dieser Entscheidung war die umstrittene und durch die Neuregelung in § 15a erledigte Rechtsprechung des BGH zur Anrechnung der Geschäftsgebühr. Um dem eigenen Mandanten einen höheren Erstattungsanspruch gegen den unterlegenen Prozessgegner zu verschaffen – so unterstellte das OLG Koblenz im betreffenden Fall – hätten die Anwälte für ihre vorgerichtliche Tätigkeit eine zu geringe Geschäftsgebühr in Rechnung gestellt, um den Umfang der Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren zu vermindern.
Unabhängig davon, dass es solchen Unterstellungen an einer tatsächlichen Grundlage fehlt, ist die Entscheidung jedenfalls mit § 14 Abs. 1 nicht zu begründen. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, den Mandanten (§ 14 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 315 Abs. 3 BGB) bzw. einen erstattungspflichtigen Dritten (§ 14 Abs. 1 S. 4) vor einer unbilligen Gebührenbestimmung zu schützen. Dass damit nur eine vom Anwalt zu hoch angesetzte Gebühr gemeint sein kann, hat außer dem OLG Koblenz noch niemand angezweifelt. Denn die Unbilligkeit einer Gebührenbestimmung folgt daraus, dass die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 bis 3 nicht zutreffend bewertet bzw. gewichtet wurden. Ob jedoch die Gebührenbestimmung in einem nachfolgenden Rechtsstreit dazu führt, dass eine gesetzlich vorgesehene Anrechnung zu einem anderen Ergebnis kommt, spielt bei § 14 überhaupt keine Rolle.
b) Toleranzbereich
Rz. 81
Welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die Bestimmung unbillig ist, regelt das RVG nicht. Insoweit gilt § 315 Abs. 3 BGB. Danach ist die vom Anwalt getroffene Bestimmung verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen (§ 315 Abs. 3 S. 2, 1. Hs. BGB).
Rz. 82
Im Verhältnis zum Auftraggeber ist daher die Bestimmung der Billigkeit in vollem Umfang überprüfbar. Dies bedeutet aber nicht, dass die Bestimmung der Gebühr im Einzelfall bis auf den Cent zu überprüfen ist. Vielmehr steht dem Anwalt ein gewisser Ermessensspielraum ("Toleranzbereich") zu; innerhalb dieses Rahmens ist seine Entscheidung auch gerichtlich nicht überprüfbar. Nach der bereits zur BRAGO entwickelten Rechtsprechung betrug der Toleranzbereich 20 %. Sofern die Bestimmung des Anwalts die nach Ansicht des Gerichts angemessene Gebühr um nicht mehr als 20 % überstieg, war noch keine Unbilligkeit i.S.d. § 315 Abs. 3 BGB gegeben. Die 20 %-Toleranzgrenze zugunsten des Rechtsanwalts bei der Bestimmung der Rahmengebühren ist auch dann zu beachten, wenn damit die Höchstgebühr erreicht wird.
Rz. 83
Zu beachten ist, dass bei der Festlegung der 20 %-Toleranzgrenze nicht eine Gesamtbetrachtung aller Gebühren des jeweiligen Verfahrensabschnitts vorzunehmen ist, sondern dass jede die einzelne Gebühr zu betrachten ist.
aa) Erweiterung des Toleranzbereichs
Rz. 84
Für den Geltungsbereich des RVG hat die Rechtsprechung die Toleranzgrenze von 20 % unverändert übernommen. Das gilt auch für das Festsetzungsverfahren. Dagegen wird im Schrifttum geltend gemacht, dass gegenüber § 118 BRAGO, der einen Gebührenrahmen von 5/10 bis 10/10 vorsah, unter der Geltung des RVG der Rahmen der Gebührenbemessung bei der außergerichtlichen Vertretung mit ihrem Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5 erheblich vergrößert worden sei. Diese Wertentscheidung des Reformg...