Rz. 49
Das Haftungsrisiko des Rechtsanwalts stellt ein weiteres, im Gegensatz zu der Vorgängernorm des § 12 Abs. 1 BRAGO ausdrücklich genanntes Bemessungskriterium dar. Dabei unterscheidet der Gesetzgeber zwischen Satzrahmengebühren und Betragsrahmengebühren. Bei Satzrahmengebühren kann nach Abs. 1 S. 2 ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts herangezogen werden, bei Betragsrahmengebühren ist es nach Abs. 1 S. 3 zu berücksichtigen. Das Haftungsrisiko ist als eines von mehreren Bemessungskriterien zu berücksichtigen, woraus sich jedoch keine eigenständige Gebühr im Sinne einer Haftungsgebühr ergibt.
aa) Wertgebühren (Abs. 1 S. 2)
Rz. 50
Bei einer Satzrahmengebühr, etwa der Geschäftsgebühr nach VV 2300, findet das Haftungsrisiko des Anwalts regelmäßig bereits über den Gegenstandswert Eingang in die Bemessung der Gebührenhöhe. Eine haftungsbedingte Anhebung des Gebührensatzes kommt daher nur in Betracht, wenn für den Anwalt im Einzelfall ein besonderes Haftungsrisiko hinzutritt, das über den eigentlichen Gegenstand des Auftrags hinausgeht. Dies gilt etwa dann, wenn die Wertvorschriften Begrenzungen enthalten, wie z.B. in § 41 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 GKG oder § 42 Abs. 1, Abs. 2 GKG oder auch dann, wenn die Wertgrenzen der § 22 Abs. 2 RVG, § 39 S. 2 GKG überschritten werden.
Beispiel: Der Anwalt ist mit einem Räumungsrechtsstreit beauftragt. Der Gegenstandswert beläuft sich nach § 41 Abs. 2 GKG auf den Jahresmietwert.
Rz. 51
Das Haftungsrisiko kann jedoch weit höher liegen, etwa wenn der Mandant infolge des verlorenen Räumungsrechtsstreits über mehrere Jahre an eine für ihn ungünstige Vermietung gebunden bleibt oder wenn er das nunmehr weiterhin vermietete Objekt nur zu einem geringeren Preis veräußern kann.
Rz. 52
Insbesondere in Unterhaltssachen kann das besondere Haftungsrisiko heranzuziehen sein.
Beispiel: Eingefordert wird laufender Unterhalt i.H.v. 500 EUR monatlich. Nach § 51 Abs. 1 FamGKG bemisst sich der Gegenstandswert auf den Jahresbetrag, also auf 6.000 EUR.
Rz. 53
Infolge eines verlorenen Unterhaltsverfahrens kann der Schaden des Mandanten jedoch weit über den Jahresbetrag hinausgehen. Dies gilt erst recht bei Schadensersatzrenten, die nach § 42 Abs. 2 GKG zu bewerten sind. Hier kann die Haftung des Anwalts unter Umständen lebenslang sein.
Rz. 54
Auch in sonstigen Angelegenheiten kann das Haftungsrisiko des Anwalts in Relation zum Gegenstandswert weitaus höher liegen. In Betracht kommen etwa
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die steuerrechtliche Beratung |
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die kautelarjuristische Tätigkeit (Vertragsgestaltung), z.B. bei Eheverträgen, letztwilligen Verfügungen oder im Gesellschaftsrecht |
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der Entwurf von Allgemeinen Geschäftsbedingungen |
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die Betreuung von Rechtsgeschäften, die Grundlage für den Abschluss von Folgegeschäften sind, z.B. der für die Erschließung eines größeren Bauabschnitts notwendige Grundstückserwerb |
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die Übernahme eines Mandats unmittelbar vor Verjährungseintritt. |
bb) Betragsrahmengebühren (Abs. 1 S. 3)
Rz. 55
Bei Betragsrahmengebühren ist das Haftungsrisiko nach dem Wortlaut des Abs. 1 S. 3 stets zu berücksichtigen, da hier der Wert der Angelegenheit unmittelbar keinen Einfluss auf die Gebühren hat. Die obligatorische Berücksichtigung führt indes nicht automatisch zu einer Gebührenerhöhung. Sie tritt vielmehr nur dann ein, wenn im Einzelfall tatsächlich ein objektiv höheres Risiko vorliegt. So kann in sozialrechtlichen Angelegenheiten die rechtzeitige Stellung eines Rentenantrags ebenso wie die korrekte Berechnung der Rente darüber entscheiden, ob für einen bestimmten Zeitraum überhaupt eine Rente gezahlt wird. In Straf- und Bußgeldsachen und in berufsgerichtlichen Verfahren sind die vom Verfahrensausgang abhängigen wirtschaftlichen Folgen zu berücksichtigen, soweit aus diesem Umstand ein qualifiziertes Haftungsrisiko resultiert. Lediglich dann, wenn zusätzliche Wertgebühren gewährt werden, wie etwa in VV 4142, ist bei der Gewichtung des Merkmals des Haftungsrisikos Zurückhaltung geboten.