1. Notwendigkeit
Rz. 127
Nach Abs. 3 S. 1 ist im Rechtsstreit ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen, wenn Betrags- oder Satzrahmengebühren geltend gemacht werden und die Höhe der Gebühr streitig ist. Bei einem Streit über die Höhe des Gegenstandswertes ist die Einholung eines Gutachtens hingegen entbehrlich.
Rz. 128
Im Falle einer Beratungsgebühr nach § 34 ist die Einholung eines Gutachtens der Rechtsanwaltskammer nicht erforderlich, da es sich nicht um eine Rahmengebühr handelt. Ungeachtet dessen kann das Gericht die zuständige Rechtsanwaltskammer um ein Gutachten ersuchen, das diese nach § 73 Abs. 2 Nr. 8 BRAO zu erstatten hat.
Rz. 129
Entgegen des missverständlichen Wortlauts muss nicht die "Gebühr" streitig sein. Gemeint ist, dass die Angemessenheit der Bestimmung i.S.d. Abs. 1 bestritten wird. Soweit die Parteien also darüber streiten, ob eine Einigungsgebühr angefallen ist, ob diese sich zu 1,5 (VV 1000) oder zu 1,0 (VV 1003, 1000) bemisst, bedarf es selbstverständlich keines Gutachtens, weil dies keine Frage des Abs. 1 ist.
Rz. 130
Die Regelung des Abs. 3 S. 1 betrifft nur den Rechtsstreit zwischen Anwalt und Auftraggeber. Dies ergibt sich bereits aus der Stellung der Vorschrift im RVG, das naturgemäß nur das Vergütungsverhältnis zwischen beiden Parteien regelt. Anzuwenden ist die Vorschrift allerdings auch dann, wenn die Gebührenforderung gegen den Rechtsnachfolger des Auftraggebers oder von dem Rechtsnachfolger des Anwalts geltend gemacht wird.
Rz. 131
In anderen Prozessrechtsverhältnissen, die nicht zwischen Anwalt und Auftraggeber begründet werden, ist Abs. 3 nicht anzuwenden. Die Einholung eines Gutachtens scheidet daher aus, wenn der Anwalt im Namen des Mandanten einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch gegen einen Dritten geltend macht, z.B. aus §§ 280, 286 BGB oder aus §§ 823 ff. BGB. Auch in den Fällen, in denen ein Dritter kraft Vertrages zur Übernahme der Kosten verpflichtet ist, findet Abs. 3 keine Anwendung. Dies gilt vor allem dann, wenn der Mandant von seinem Rechtsschutzversicherer Freistellung oder Kostenerstattung verlangt. Gleiches gilt, wenn ein arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch besteht und der Auftraggeber von seinem Arbeitgeber die ihm entstandenen Kosten erstattet verlangt oder in einem Rechtsstreit zwischen dem Kläger und der erstattungspflichtigen Familienkasse. In diesen Fällen entscheidet das Gericht ohne Einholung eines Gutachtens nur inzidenter darüber, ob die der Ersatz- oder Erstattungsforderung zugrunde liegende Anwaltsvergütung zutreffend berechnet ist.
Rz. 132
Umstritten ist, ob im Erstattungsprozess gegen den Haftpflichtversicherer nach einer Unfallschadenregulierung hinsichtlich der Angemessenheit der geltend gemachten Geschäftsgebühr ein Kammergutachten einzuholen ist. Die h.M. verneint die Notwendigkeit einer Gutachteneinholung, da auch in diesem Verfahren der Rechtsstreit i.S.d. Abs. 1 nur das Rechtsverhältnis zwischen Anwalt und Auftraggeber betreffe. Die Gegenansicht erstreckt die Definition des Rechtsverhältnisses auf die Durchsetzung der Gebührenansprüche gegen den Versicherer als Dritten. Nach der hier vertretenen Auffassung ist das Gericht nicht zu der Einholung eines Kammergutachtens verpflichtet, weshalb die gerichtliche Unterlassung der Gutachteneinholung keinen Verfahrensmangel (siehe Rdn 152) begründet. Gleichwohl kann das Gericht ein Gutachten einholen, um sich diese oftmals wertvolle Erkenntnisquelle bei seiner Entscheidungsfindung nutzbar zu machen.
Rz. 133
Anwendung findet Abs. 3 auch auf Vergütungsansprüche von Rechtsbeiständen, die gemäß § 209 BRAO Mitglied einer Rechtsanwaltskammer sind. Auf nicht "verkammerte" Rechtsbeistände ist Abs. 3 dagegen nicht anzuwenden.
Rz. 134
In welcher Art und Weise die Satz- oder Betragsrahmengebühren in den Rechtsstreit eingebracht werden, ist unerheblich. Die Vorschrift des Abs. 3 S. 1 gilt daher nicht nur für den klassischen Vergütungsprozess, sondern auch dann, wenn der Vergütungsanspruch vom Anwalt im Wege der Aufrechnung gegen anderweitige Ansprüche, etwa gegen Ansprüche auf Herausgabe vereinnahmter Beträge, erhoben wird. Ebenso ist die Vorschrift anwendbar, wenn der Mandant vermeintlich überzahltes Honorar nach § 812 BGB kondizieren möchte.
Rz. 135
Im Kostenfestsetzungsverfahren nach den §§ 103 ff. ZPO, § 464b StPO ist die Einholung eines Gutachtens nach Abs. 3 nicht geboten. Das Gericht kann aber ungeachtet dessen ein Gutachten einholen. Auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 11 bedarf es der Einholung eines Gutachtens nicht, da hier nach § 11 Abs. 8 nur die Festsetzung der Mindestgebühr in Betracht kommt oder die Festsetzung einer höheren Gebühr, wenn der Auftraggeber der Bestimmung schriftlich zugestimmt hat. Über die Höhe der Gebühr kann daher kein Streit bestehen.
Rz. 136
Zu der Notwendigkeit einer Gutachteneinholung im Falle einer Streitigkeit über die Höhe der nach § 34 Abs. 1 S. 2 geschuldeten üblichen Ve...