a) Grundsatz
Rz. 86
Für gerichtliche Verfahren war bislang von der Bestimmung des Abs. 2 S. 2 a.F. auszugehen. Diese Regelung findet sich jetzt in § 17 Nr. 1, ohne, dass sich inhaltlich etwas geändert hätte. Danach gilt jeder Rechtszug als eine besondere Angelegenheit. Gemeint ist damit der prozessuale Rechtszug. Jede gesonderte gerichtliche Instanz ist grundsätzlich auch eine eigene gebührenrechtliche Angelegenheit. Daraus folgt, dass
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grundsätzlich jede neue prozessuale Instanz (also Berufung, Revision, Beschwerde) eine neue Gebührenangelegenheit auslöst (vertikale Aufteilung). Ausnahmen sind allerdings möglich. So zählen in Verfahren nach VV Teil 4, 5 oder 6 die Einlegung eines Rechtsmittels nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 oder ein Beschwerdeverfahren noch zur Ausgangsangelegenheit; |
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auch dann mehrere Angelegenheiten vorliegen, wenn mehrere prozessuale Verfahren nebeneinander geführt werden, solange sie nicht miteinander verbunden sind (horizontale Aufteilung). Ausnahmen sind auch hier möglich, etwa im Falle des § 16 Nr. 10 (mehrere Erinnerungen/mehrere Beschwerden). |
Umgekehrt liegt dagegen immer eine einzige Angelegenheit vor, wenn mehrere Gegenstände im selben Verfahren geltend gemacht werden, sei es, dass ein Kläger mehrere Klageanträge stellt, dass derselbe Anwalt in demselben Verfahren mehrere Kläger vertritt, selbst wenn sie unterschiedliche Ansprüche geltend machen; ebenso bei Klage und Widerklage oder Drittwiderklage.
b) Mehrere Angelegenheiten innerhalb desselben prozessualen Rechtszugs
Rz. 87
Mit der Vorschrift des § 17 Nr. 1 ist der Begriff der Angelegenheit in gerichtlichen Verfahren nur in einer Richtung zum Teil festgelegt: Jedes prozessuale Verfahren ist eine eigene Angelegenheit. Andererseits ist es aber durchaus möglich, dass innerhalb desselben prozessualen Rechtszugs mehrere Angelegenheiten vorliegen.
Rz. 88
Der Umfang des Gebührenrechtszugs i.S.d. RVG, also der Umfang der Angelegenheit, unterscheidet sich von dem Rechtszug im prozessrechtlichen Sinne mitunter erheblich. Ein einheitlicher prozessualer Rechtszug kann gebührenrechtlich aus mehreren Rechtszügen (Angelegenheiten) bestehen.
Beispiel: Die Forderung wird zunächst im Urkundenmahnverfahren geltend gemacht. Nach Widerspruch schließt sich der Urkundenprozess an. Nach Erlass eines Vorbehaltsurteils wird die Sache im Nachverfahren fortgesetzt.
Prozessual liegt ein einziger Rechtszug vor. Nach dem RVG liegen dagegen drei Rechtszüge vor:
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das Mahnverfahren (§ 17 Nr. 2; VV 3305), |
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das streitige (Urkunden-)Verfahren (§ 17 Nr. 4; VV Vorb. 3 Abs. 7) und |
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das Nachverfahren (§ 17 Nr. 4; VV Vorb. 3 Abs. 7). |
Nach dem GKG wiederum sind nur zwei Rechtszüge gegeben:
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das Mahnverfahren (GKG-KostVerz. 1110) sowie |
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das Prozessverfahren erster Instanz (GKG-KostVerz. 1210). |
Rz. 89
Umgekehrt können mehrere prozessuale Rechtszüge eine einzige Angelegenheit darstellen.
Beispiel: Gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO lässt der Beschuldigte durch seinen Verteidiger Beschwerde einlegen.
Gebührenrechtlich liegt nur eine einzige Angelegenheit vor (§ 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10a. Prozessual handelt es sich jedoch um zwei Rechtszüge. Die vorläufige Entziehung nach § 111a StPO wird vom AG ausgesprochen; über die Beschwerde entscheidet das LG.
c) Mehrere nebeneinander laufende Verfahren
Rz. 90
Werden mehrere Verfahren nebeneinander geführt, so liegen stets verschiedene Angelegenheiten vor. Soweit teilweise die Auffassung vertreten wird, mehrere Gerichtsverfahren seien als eine Angelegenheit anzusehen, wenn ihnen ein einheitlicher Auftrag zugrunde liege, die Tätigkeit des Anwalts den gleichen Rahmen habe und ein innerer Zusammenhang bestehe, ist dies unzutreffend, da die drei vorgenannten Kriterien lediglich für die außergerichtlichen Angelegenheiten gelten. In gerichtlichen Angelegenheiten stellen mehrere parallele Verfahren stets auch verschiedene Angelegenheiten i.S.d. § 17 Nr. 1 dar.
Beispiel 1: Der Mandant beauftragt seinen Anwalt, vor dem Sozialgericht drei Untätigkeitsklagen wegen dreier nicht beschiedener Widersprüche zu erheben.
Das LSG Mainz hat insoweit eine einzige Angelegenheit angenommen. Dies ist unzutreffend. Da hier drei Klagen eingereicht worden sind, liegen auch drei Angelegenheiten vor. Eine andere Frage mag sein, ob die Partei die entstandenen Kosten in voller Höhe erstattet verlangen kann oder ob sie sich im Rahmen der Kostenerstattung entgegenhalten lassen muss, dies sei nicht notwendig gewesen; es sei vielmehr günstiger gewesen, die Klagen in einem Verfahren zusammenzufassen. Auf das Entstehen der Gebühren hat dies jedoch keinen Einfluss. Der Grundsatz, dass verschiedene gerichtliche Verfahren auch jeweils eigene Gebühren auslösen, gilt uneingeschränkt, und zwar sowohl in Angelegenheiten des VV Teil 3 als auch in Angelegenheiten nach VV Teil 4 bis 6.
Beispiel 2: Die Staatsanwaltschaft ermittelt in zwei getrennten Verfahren gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts mehrerer BtM-Verstöße.
Auch wenn hier der st...