Rz. 291
Bereits durch das KostRÄndG 1994 war die jetzt in Abs. 5 S. 2 enthaltene Regelung in die BRAGO eingeführt worden. Der in Abs. 5 S. 1 niedergelegte Grundsatz (vormals: § 13 Abs. 5 S. 1 BRAGO) war in vielen Fällen als unbillig angesehen worden. Bis zur Einführung der erweiterten Regelung nach S. 2 konnte der Anwalt bei erneuter Beauftragung nie neue Gebühren verlangen, obwohl er sich wieder vollkommen neu in die Sache einarbeiten musste. Zum Teil hatte die Rechtsprechung nach Ablauf längerer Zeiträume zwar eine neue Angelegenheit angenommen; eine klare Regelung existierte jedoch nicht. Um hier Klarheit zu schaffen, hatte der Gesetzgeber bereits in § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO einen Zeitraum von zwei Kalenderjahren festgelegt, nach dessen Ablauf immer eine neue Angelegenheit ausgelöst wird, wenn der Anwalt in der gleichen Sache erneut beauftragt wird. Liegt also zwischen der Erledigung des ersten Auftrags und der Erteilung des Auftrags, in der gleichen Sache weiter tätig zu werden, ein Zeitraum von mehr als zwei Kalenderjahren, so handelt es sich kraft der Fiktion in Abs. 5 S. 2 um eine neue Angelegenheit, so dass der Anwalt sämtliche Gebühren erneut verlangen darf.
Da die entsprechende Regelung bereits in § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO enthalten war, ist sie also auch dann zu beachten, wenn der neue Auftrag erst nach dem 1.7.2004 erteilt wird. Auch dann gilt der neue Auftrag nach Ablauf von zwei Kalenderjahren als neue Angelegenheit. Zu berücksichtigen ist in diesem Fall allerdings, dass nach § 61 für die neue Angelegenheit bereits das RVG anzuwenden ist. Im Übrigen ist die Übergangsregelung des § 60 zu beachten. Ändert sich das RVG zwischen Beendigung der ersten Angelegenheit und dem erneuten Auftrag nach Ablauf von zwei Kalenderjahren, dann ist das neue Gebührenrecht anzuwenden.
Rz. 292
Die Zweijahresfrist des Abs. 5 S. 2 beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der vorangegangene Auftrag erledigt worden ist.
Beispiel: Der Anwalt hatte im August 2013 auftragsgemäß den Scheidungsantrag eingereicht. Im November 2013 hatte der Mandant mitgeteilt, die Sache habe sich zunächst erledigt, die Eheleute wollten einen Versöhnungsversuch unternehmen; falls dieser scheitere, solle das Verfahren fortgesetzt werden. Der Anwalt teilt dies dem Gericht mit und schließt die Akte ab. Im August 2016 teilt der Mandant mit, dass der Versöhnungsversuch gescheitert sei, das Verfahren solle fortbetrieben werden.
Der ursprüngliche Auftrag war im November 2013 erledigt. Mit Ablauf des Jahres 2012 begann somit die Zweijahresfrist, die zum 31.12.2015 abgelaufen war. Der weitere Auftrag gilt somit gemäß Abs. 5 S. 2 als neue Angelegenheit. Der Anwalt kann sämtliche Gebühren erneut abrechnen.
Rz. 293
Nach Abs. 5 S. 2 muss die vorangegangene Angelegenheit erledigt gewesen sein. Insoweit kann auf die Definition der Erledigung in § 8 Abs. 1 zurückgegriffen werden.
Rz. 294
Unzutreffend ist es dagegen, auf die gesamte Fälligkeit der Gebühren des vorangegangenen Auftrags i.S.d. § 8 Abs. 1 abzustellen. Diese Rechtsprechung verkennt, dass die Fälligkeit nur in einem Fall an die Erledigung anknüpft, aber auch unter anderen Voraussetzungen eintreten kann, obwohl die Angelegenheit noch nicht erledigt ist, etwa bei Ruhen des Verfahrens, bei Erlass einer Kostenentscheidung etc.
Rz. 295
Insbesondere bei Ruhen, Aussetzung oder Unterbrechung des Verfahrens liegt kein Fall des Abs. 5 S. 2 vor, weil der Anwalt während des Ruhens, der Aussetzung und der Unterbrechung weiterhin beauftragt bleibt und weiterhin tätig werden muss. Er muss regelmäßig prüfen, ob die Voraussetzungen der Unterbrechung der Aussetzung und des Ruhens noch gegeben sind.
Rz. 296
Ebenso liegt kein Fall des Abs. 5 S. 2 vor, wenn ein Strafverfahren gemäß § 205 StPO vorläufig eingestellt worden ist und dann nach mehr als zwei Kalenderjahren wieder fortgesetzt wird. Die vorläufige Einstellung stellt dies keine Erledigung des anwaltlichen Auftrags i.S.d. Abs. 5 S. 2 dar, sodass bei Fortsetzung des Verfahrens die Gebühren und Auslagen nicht erneut anfallen.
Rz. 297
Dagegen liegt ein Fall des Abs. 5 S. 2 vor, wenn ein Prozessvergleich mehr als zwei Kalenderjahre nach seinem Abschluss angefochten und das Verfahren daraufhin fortgesetzt wird.
Rz. 298
Abs. 5 S. 2 ist auch in Übergangsfällen zu berücksichtigen. Richtet sich eine vorangegangene Angelegenheit nach der BRAGO und ist nach dem 1.7.2004 ein neuer Auftrag erteilt worden, so gilt der neue Auftrag nach Abs. 5 S. 2 als neue Angelegenheit, wenn zwei Kalenderjahre seit Erledigung der ersten Angelegenheit verstrichen sind, da insoweit das RVG anzuwenden ist (§ 61 Abs. 1 S. 1).
Rz. 299
Ein Fall des Abs. 5 S. 2 kann auch bei einem PKH- oder VKH-Überprüfungsverfahren vorliegen. Zwar gehört das Verfahren zur Überprüfung der bewilligten Verfahrenshilfe noch zu dem Rechtszug, für den die Prozesskostenhilfe bewilligt worden war (§ 16 Nr. 2, 3). Ist allerdings das frühere Verfahren seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt, so ist das Ve...