Peter Fölsch, Norbert Schneider
Rz. 113
Das erstinstanzliche Prozessverfahren und der erste Rechtszug des Musterverfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz bilden dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit.
1. Verfahren nach dem KapMuG
Rz. 114
Durch die Einführung von Musterverfahren können bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, in denen (vgl. § 1 Abs. 1 KapMuG)
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ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation, |
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ein Schadensersatzanspruch wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen Unterlassung der gebotenen Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist, oder |
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ein Erfüllungsanspruch aus Vertrag, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz beruht, |
geltend gemacht wird, in einem Musterverfahren gebündelt und beschleunigt werden. Das Musterverfahren bietet die Möglichkeit, das Vorliegen oder Nichtvorliegen anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen (Feststellungsziele) durch einen alle Beteiligten bindenden Musterentscheid festzustellen.
Rz. 115
Jeder Kapitalanleger kann dabei die Einleitung eines Musterverfahrens bei dem Prozessgericht erster Instanz beantragen (vgl. § 2 KapMuG). Ein zulässiger Musterfeststellungsantrag soll binnen sechs Monaten öffentlich bekannt gemacht werden (§ 3 Abs. 3 KapMuG). Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt in einem Klageregister (vgl. § 4 KapMuG). Mit der Bekanntmachung im Klageregister wird das zugrunde liegende Prozessverfahren unterbrochen (§ 5 KapMuG). Wenn innerhalb von sechs Monaten nach der ersten Bekanntmachung eines Musterverfahrensantrags mindestens neun weitere gleichgerichtete Musterverfahrensanträge bekannt gemacht werden, wird durch Vorlagebeschluss des Prozessgerichts eine Entscheidung des im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts über die Feststellungsziele herbeigeführt (§ 6 Abs. 1 KapMuG).
Rz. 116
Nach der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses im Klageregister setzt das Prozessgericht von Amts wegen alle bereits anhängigen oder bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsziele im Musterverfahren noch anhängig werdenden Verfahren aus, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt (§ 8 Abs. 1 S. 1 KapMuG). Das gilt unabhängig davon, ob in dem Verfahren ein Musterverfahrensantrag gestellt wurde (§ 8 Abs. 1 S. 2 KapMuG). Beteiligte des Musterverfahrens sind der Musterkläger, der Musterbeklagte und die Beigeladenen (§ 9 Abs. 1 KapMuG). Das Gericht bestimmt aus den Klägern einen Musterkläger (vgl. § 9 Abs. 2 KapMuG). Die übrigen Kläger werden zu Beigeladenen (§ 9 Abs. 3 KapMuG). Die Beklagten werden zu Musterbeklagten (§ 9 Abs. 5 KapMuG). Das OLG erlässt auf der Grundlage einer mündlichen Verhandlung durch Beschluss einen Musterentscheid (§ 16 Abs. 1 KapMuG). Es besteht aber im Musterverfahren auch die Möglichkeit eines Vergleichsschlusses (vgl. § 17 KapMuG). Der Musterentscheid bindet die Prozessgerichte in allen nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzten Verfahren (§ 22 Abs. 1 S. 1 KapMuG). Gegen den Musterentscheid ist die Rechtsbeschwerde nach § 20 KapMuG statthaft.
2. Zweck der Vorschrift
Rz. 117
Der Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren Kostenregelungen geschaffen, die das Prozesskostenrisiko der geschädigten Kapitalanleger minimieren sollen und dadurch zur Attraktivität des Musterverfahrens beitragen. Diese Zielrichtung hat der Gesetzgeber im Wesentlichen auch durch das Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes beibehalten (vgl. aber Rdn 113).
Rz. 118
In dieses Regelungskonzept gehört, dass
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im erstinstanzlichen Musterverfahren
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gegenüber dem Ausgangsverfahren keine zusätzlichen Gerichtsgebühren entstehen (vgl. Vorb. 1.2.1 GKG-KostVerz.), |
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gegenüber dem Ausgangsverfahren keine zusätzlichen Rechtsanwaltsgebühren entstehen (vgl. § 16 Nr. 13), |
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anfallende Auslagen, insbesondere die Auslagen für die Vergütung von Sachverständigen, im Verhältnis der geltend gemachten Forderungen auf die einzelnen Ausgangsverfahren verteilt werden (vgl. Nr. 9018 GKG-KostVerz.) |
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im Rechtsbeschwerdeverfahren
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die Gerichtskostenhaftung begrenzt ist (vgl. § 51a Abs. 3, 4 GKG) |
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eine Haftung der Beigeladenen (§ 9 Abs. 3 KapMuG) nur in Betracht kommt, wenn sie als Rechtsbeschwerdeführer bzw. als Beigetretene am Rechtsbeschwerdeverfahren teilnehmen oder wenn die Rechtsbeschwerde des Musterbeklagten erfolgreich ist (vgl. § 26 KapMuG). |
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bei Anmeldung eines nicht rechtshängigen Anspruchs in einem Musterverfahren (§ 10 Abs. 2 KapMuG)
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die anwaltliche Verfahrensgebühr VV 3338 für die Anmeldung in einer Verfahrensgebühr VV 3100 für eine ggf. später anhängig werdende Klage aufgeht (vgl. § 16 Nr. 13), |
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die gerichtliche Ver... | |