Norbert Schneider, Peter Fölsch
Rz. 91
Für den Anwalt, der sowohl in der ersten als auch in der zweiten Instanz beauftragt ist, enthält die Norm eine abschließende Abgrenzung derjenigen Tätigkeiten, die mit der erstinstanzlichen Vergütung abgegolten sind. Der Rechtsanwalt, der für das erstinstanzliche und das Berufungsverfahren beauftragt wird, kann dementsprechend eine Gebühr gemäß VV Nr. 3201 nur dann verdienen, wenn seine Tätigkeit über den Rahmen der erstinstanzlichen Abwicklungstätigkeiten gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 9 hinausgeht. Insofern wird das Prinzip der Pauschalabgeltung der Anwaltsgebühren konkretisiert.
Die Zustellung oder Empfangnahme von Entscheidungen oder Rechtsmittelschriften und ihre Mitteilung an den Auftraggeber gehören zum Rechtszug und werden durch die Verfahrensgebühr abgegolten. Insbesondere spielt hier die Frage eine Rolle, ob für die Berufungsinstanz überhaupt ein entsprechender Auftrag vorliegt. Kann dies nicht nachgewiesen werden, so fallen die Gebühren gemäß VV 3200, 3201 nicht an. Es kommt nämlich nicht auf die Außenwirkung eines stillschweigend erteilten Auftrags an, sondern auf die Frage der Beauftragung an sich.
Rz. 92
Einzelfälle, die zum Rechtszug gehören:
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Empfangnahme von Fristverlängerungsentscheidungen für die Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 2 ZPO) sowie Empfangnahme und Weiterleitung des Verwerfungs- oder Zurückweisungsbeschlusses (§ 522 Abs. 1 ZPO). |
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Inempfangnahme des Schreibens des Vorsitzenden der Berufungskammer und seine Mitteilung an den Beklagten. |
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Prüfung von Fragen mit Entgegennahme der Berufungsschrift, die gebührenrechtlich zur ersten Instanz gehören. Solange der Prozessbevollmächtigte eines Berufungsbeklagten bei der Entgegenahme der Berufungsschrift nur Fragen prüft, die § 19 RVG gebührenrechtlich der vorherigen Instanz zuordnet, hat er die im Berufungsverfahren entstehende Verfahrensgebühr nicht verdient. Anderes gilt nur, wenn er Tätigkeiten entfaltet, und sei es auch in der Form der Prüfung, ob etwas zu veranlassen ist, die sich gebührenrechtlich auf das Berufungsverfahren beziehen. Dies müsste im Kostenfestsetzungsverfahren vorgetragen werden. |
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Übermittlung der Bitte durch den Revisionsanwalt an den Berufungsanwalt der Gegenpartei, mit der eigenen Bestellung eines Revisionsanwaltes abzuwarten. |
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Weiterleitung eines Schreibens, welches den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten einer Partei über die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde informiert, verbunden mit der Bitte, noch keinen eigenen BGH-Anwalt zu bestellen. |
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Prüfung des erstinstanzlichen Bevollmächtigten, ob die ihm zugestellte Berufung der Gegenseite fristgerecht eingelegt wurde. Es kann in diesem Zusammenhang auch nicht ohne weiteres unterstellt werden, bei der bloßen Entgegennahme der Rechtsmittelschrift (Nichtzulassungsbeschwerdeschrift) und ihrer Mitteilung an den Auftraggeber prüfe der Prozessbevollmächtigte, ob etwas für den Mandanten zu veranlassen ist, weshalb eine Verfahrensgebühr nach VV 3201 entstehe. Dies gilt zumindest dann, wenn die Berufung keine Begründung enthält und die Zulässigkeit des Rechtsmittels von dieser Begründung abhängt (vgl. § 64 Abs. 6 ArbGG, § 520 ZPO). Dieser Umstand spricht mehr dafür, dass eine anwaltliche Bearbeitung der Angelegenheit nicht erfolgte; jedenfalls ist dann eine Prüfung der weiteren Vorgehensweise Nr. 9 zuzuordnen. |
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Übersendung der Rechtsmittelschrift an den berufungsbeklagten Mandanten. Die Weiterleitung der Berufungsschrift an den Beklagtenvertreter erfordert daher die ausdrückliche Nachfrage, ob tatsächlich ein Auftrag für die kostenpflichtige Vertretung im Berufungsverfahren erteilt werde. Diese Auffassung ist jedoch nicht richtig. Allein die Annahme der Rechtsmittelschrift und deren Weiterleitung lassen vielmehr annehmen, dass der Anwalt prüft, ob etwas für den Mandanten zu veranlassen ist. Damit entfaltet er eine Tätigkeit, die die Gebühr nach VV 3201 zum Entstehen bringt. Für das Entstehen der gesonderten Gebühr genügt nach späterer Rechtsprechung des BGH die Entgegennahme der Rechtsmittelschrift durch den Bevollmächtigten des Klägers, weil anzunehmen ist, dass dieser anschließend prüft, ob etwas für den Mandanten zu veranlassen ist; die Einreichung eines Schriftsatzes ist demnach nicht erforderlich. Auch ist die Entgegennahme der Rechtsmittelschrift und die hierdurch ausgelöste anwaltliche Prüftätigkeit keine bloße Neben- bzw. Abwicklungstätigkeit der erstinstanzlichen Beauftragung gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9, 1. Alt. Dies hat der BGH für die Vorgängernorm des § 19 Abs. 1, den § 37 Nr. 7, 1. Alt. BRAGO, entschieden. Da § 37 Nr. 7, 1. Alt. BRAGO einen mit § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9, 1. Alt. identischen Wortlaut hat, muss diese Rechtsprechung für § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9, 1. Alt. gleichermaßen gelten. |
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Besprechung des Urteils mit dem Auftraggeber und Belehrung über das zulässige Rechtsmittel. |
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Besprechung der Partei mit ihrem Prozessbevollmächtigten über "ein eventuelles Berufungsverfahren ... |