Norbert Schneider, Peter Fölsch
Rz. 135
Auch hinsichtlich der Beratung über das Rechtsmittel eines anderen Beteiligten (Staatsanwaltschaft, Neben- oder Privatkläger) ist die gebührenrechtliche Behandlung umstritten.
Rz. 136
Ist das Rechtsmittel der Gegenseite noch nicht eingelegt, soll der Anwalt also nur vorbereitend prophylaktisch beraten, welche Rechtsmittel in Betracht kommen und welche Konsequenzen dies hat, so zählt diese Tätigkeit wohl noch zur Ausgangsinstanz. Das Rechtsmittelverfahren beginnt für den in der Instanz beauftragten Verteidiger frühestens mit der Einlegung eines Rechtsmittels durch die Staatsanwaltschaft, den Neben- oder Privatkläger.
Rz. 137
Soll der Anwalt dagegen vorbereitend prüfen, welche Erfolgsaussicht ein eventuelles gegnerisches Rechtsmittel hat, dann liegt wiederum ein gesonderter Auftrag nach VV 2102, 2103 (bei Wertgebühren nach VV 2100, 2101) vor, da auch die Beratung über ein Rechtsmittel des Gegners unter VV 2100 ff. fällt (siehe VV 2100 Rdn 16 und VV 2102 Rdn 1).
Rz. 138
Wird das Rechtsmittel von einem anderen Beteiligten, also aus Sicht des Verteidigers von der Staatsanwaltschaft, dem Neben- oder Privatkläger eingelegt, aus Sicht des Privat- oder Nebenklägers vom Angeklagten oder zu dessen Gunsten von der Staatsanwaltschaft, so ist wiederum umstritten, ob die Beratung über die Aussichten des gegnerischen Rechtsmittels nach Nr. 10, 1. Hs. durch die Gebühren des erstinstanzlichen Verfahrens abgegolten wird.
Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, die Beratung über die Erfolgsaussichten des gegnerischen Rechtmittels würde für den Verteidiger noch zum vorausgehenden Rechtszug zählen. Diese Auffassung ist jedoch aus zwei Gründen abzulehnen: Die Vorschrift der Nr. 10, 1. Hs. ist eine Ausnahmevorschrift und als solche daher eng auszulegen. Sie gilt ausdrücklich nur, wenn der Mandant Rechtsmittelführer ist, nicht aber auch, wenn er Rechtsmittelgegner ist. Abgesehen davon wird eine Beratung über das gegnerische Rechtsmittel in aller Regel erst dann erfolgen, wenn es eingelegt worden ist. Die Einlegung des Rechtsmittels wiederum bildet aber die zeitliche Zäsur zwischen vorinstanzlichem Verfahren und Rechtsmittelverfahren, so dass die Beratung über eine bereits eingelegte Berufung immer zum Berufungsrechtszug gehört.
Rz. 139
Werden also von der Staatsanwaltschaft, dem Neben- oder Privatkläger Rechtsmittel eingelegt, so beginnt für den Verteidiger der Gebührenrechtszug der VV 4124 ff., VV 4130 ff. – unabhängig davon, ob er bereits erstinstanzlich tätig war oder nicht – mit der ersten Tätigkeit nach Einlegung des Rechtsmittels. Voraussetzung ist allerdings, dass ihm für diese Instanz schon ein Mandat erteilt ist. So werden in aller Regel die bloße Entgegennahme des gegnerischen Rechtsmittels und die Benachrichtigung des Mandanten noch keine Gebühren auslösen (Nr. 9), weil der Mandant bis dahin von dem Rechtsmittel noch keine Kenntnis hatte und daher insoweit grundsätzlich auch noch keinen Auftrag erteilt haben kann. Anders verhält es sich allerdings, wenn der erstinstanzliche Verteidiger bereits den (bedingten) Auftrag erhalten hatte, im Falle eines gegnerischen Rechtsmittels tätig zu werden, und er sich daraufhin bei Gericht bestellt.
Rz. 140
Wird der Anwalt allerdings für das Rechtsmittelverfahren (noch) nicht mit der Verteidigung beauftragt, sondern soll er zunächst nur beraten, ob das Rechtsmittel der Gegenseite Aussicht auf Erfolg hat, gelten wiederum die VV 2102, 2103 oder bei Wertgebühren die VV 2101, 2102, die bei späterem Verteidigungs- oder Vertretungsauftrag anzurechnen sind (Anm. zu VV 2102; Anm. zu VV 2100).
Rz. 141
Auch hier darf die Streitfrage nicht überbewertet werden. Soweit die Beratung über die Aussichten des gegnerischen Rechtsmittels noch zum Ausgangsverfahren gezählt wird, muss auch hier die Mehrarbeit im Rahmen des § 14 Abs. 1 gebührenerhöhend berücksichtigt werden.