Norbert Schneider, Wilko Seifert
Rz. 21
Ist der sich aus § 30 Abs. 1 ergebende Regelwert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht nach der mit dem 2. KostRMoG eingeführten Regelung des § 30 Abs. 2 einen höheren oder niedrigeren Wert festsetzen. Die Formulierung entspricht derjenigen, die in den §§ 44 Abs. 3, 45 Abs. 3, 47 Abs. 2, 48 Abs. 3, 49 Abs. 2, 50 Abs. 3 und 51 Abs. 3 S. 2 FamGKG für bestimmte Familiensachen vorgesehen ist.
1. Anwendungsbereich (Abs. 2)
Rz. 22
Wegen der Anknüpfung an den "nach Absatz 1 bestimmte[n] Wert" ist eine Billigkeitskorrektur erst zu prüfen, wenn eine Bewertung nach Abs. 1 vorgenommen worden, insbesondere die in Abs. 1 S. 2 vorgesehene Erhöhung bei Beteiligung mehrerer natürlicher Personen berücksichtigt worden ist.
Beispiel: Der Anwalt wird beauftragt, Klage gegen die Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs. 1 AsylG von drei Personen zu erheben.
Der Gegenstandswert für das Klageverfahren beträgt nach Abs. 1 S. 1, 1. Alt. 5.000 EUR. Da mehrere Personen an demselben Verfahren beteiligt sind, erhöht sich der Wert für jede weitere Person um 1.000 EUR (Abs. 1 S. 2), sodass der Wert auf 7.000 EUR festzusetzen ist.
2. Voraussetzungen für eine Abweichung vom Regelwert (Abs. 2)
Rz. 23
§ 30 Abs. 2 soll für besonders einfach gelagerte und für die Betroffenen weniger bedeutsame Verfahren einerseits und für besonders umfangreiche und schwierige Verfahren andererseits eine Korrekturmöglichkeit bieten, wobei nach dem Maßstab einer pauschalierenden Betrachtung neben der Bedeutung, die das gerichtliche Verfahren für einen Kläger hat, auch der Umfang des Verfahrens und dessen Schwierigkeit zu berücksichtigen sind. Die Korrekturmöglichkeit erfordert
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besondere Umstände des Einzelfalls und eine sich daraus ergebende |
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Unbilligkeit |
und ist daher bei lediglich gewissen Abweichungen vom vorausgesetzten gesetzlichen Regelfall und der im Asylbereich vorausgesetzten Spannbreite von Umfang und Schwierigkeitsgrad der Verfahren nicht eröffnet. Angesichts der Vielfalt möglicher Streitgegenstände im gerichtlichen Asylverfahren, die zudem oft auch in objektiver Klagehäufung oder mit gestaffelten Klageanträgen verfolgt werden, soll auch sonst mit dem gesetzlichen Regelwert die Gegenstandswertfestsetzung vereinfacht werden, was eine Differenzierung nach unterschiedlichen Klagezielen oder Klagearten nicht notwendig vollständig ausschließt; ebenso werden besondere Umstände des Einzelfalls nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass sie in einer Mehrzahl bestehen.
Rz. 24
Vor diesem Hintergrund hält das BVerwG bei reinen Untätigkeitsklagen eine Halbierung des Gegenstandswerts gemäß Abs. 2 für gerechtfertigt, weil solche Klagen keine asylrechtliche Streitigkeiten kennzeichnende Bearbeitung erforderten und nicht auf eine Sachprüfung eines Asylantrags im Ergebnis gerichtet seien.
Rz. 25
Es soll die Wertfestsetzung nach Abs. 1 nicht unbillig erscheinen lassen (und folglich keine Erhöhung des Regelwerts rechtfertigen), wenn mit einem stattgebenden Eilantrag die Hauptsache vorweggenommen würde, da es sich um eine typische Konstellation in asylrechtlichen Eilverfahren handelt, weil sich durch die Abschiebung nach erfolglosem Eilantrag ein Klageverfahren regelmäßig erledigt.
Rz. 26
Umstritten ist, ob eine Herabsetzung des Gegenstandswerts gemäß Abs. 2 in Verfahren zur Festsetzung eines Zwangsgelds nach § 172 VwGO zur Vollstreckung eines asylrechtlichen Verpflichtungsurteils angezeigt ist.
Rz. 27
Die Anzahl der beteiligten natürlichen Personen im Klage- oder einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann keine Berücksichtigung (mehr) nach Abs. 2 erfahren, weil diesem Kriterium bereits ausreichend über Abs. 1 S. 2 Rechnung getragen wird. Anderenfalls würde sich eine nicht gerechtfertigte Doppelverwertung dieser Umstände ergeben, nämlich einmal über Abs. 1 S. 2 und darüber hinaus über Abs. 2.
Rz. 28
Verfolgt der Kläger verschiedene Streitgegenstände, ist eine Korrektur des Werts nach Abs. 2 demgegenüber möglich. Allerdings genügt die Häufung mehrerer Begehren nicht für sich alleine zur Begründung einer Abweichung von Abs. 1.
Rz. 29
Als Bezugspunkt für die Abweichung vom Regelwert ist nicht vordergründig die gerichtliche Tätigkeit zu betrachten, weil die Verfahren nach dem AsylG gerichtsgebührenfrei geführt werden. Die Wertfestsetzung erfolgt auf den Antrag des Anwalts hin für die Festsetzung seiner Gebühren. Deshalb spielt neben dem Umfang des Rechtsstreits auch der Umfang seiner Tätigkeit im Rechtsstreit für die Beantwortung der Frage, inwieweit vom Regelwert abgewichen werden kann, eine erhebliche Rolle.
Rz. 30
Die Bemessungskriterien, die eine Erhöhung und auch eine Ermäßigung rechtfertigen, sollten stets am Bezugspunkt "einfach gelagerter Ausgangsfall" orientiert werden. Das Interesse und die Bedeutung eines Verfahrens werden nicht dadurch geringer, dass sich die Beteiligten schnell über eine Regelung einigen. Auch bescheidene Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Parteien dürften keine Abweichung vom Regelwert rechtfertigen, da dies...