Lotte Thiel, Norbert Schneider
Rz. 124
Keine Bindungswirkung besteht zwischen verschiedenen Verfahren. Das kann allerdings zu problematischen Divergenzen führen.
Beispiel: Der Rechtsanwalt hatte gegen seinen Mandanten Gebührenklage erhoben. Im vorangegangenen Verfahren, dessen Anwaltsgebühren eingeklagt worden waren, war noch kein Streitwert festgesetzt worden. Deshalb musste das Gericht des Gebührenprozesses diesen Streitwert vorgreiflich als Entscheidungsvoraussetzung selbst beziffern. Das auf dieser Grundlage ergangene Urteil über die eingeklagten Anwaltsgebühren wurde rechtskräftig. Nunmehr wurde im Vorverfahren der Streitwert niedriger festgesetzt, als im Gebührenprozess angenommen worden war. Hiervon ausgehend war die Gebührenberechnung im rechtskräftigen Urteil falsch.
Rz. 125
Das LG Nürnberg-Fürth hat dem Kostenschuldner ungeachtet der Rechtskraft des Gebührenurteils unter Berufung auf BGHZ 83, 278 einen Bereicherungsanspruch auf Rückzahlung der Differenzgebühren zugebilligt.
Rz. 126
Das KG geht davon aus, dass mit der Streitwertfestsetzung im Hauptverfahren neue Gebührenansprüche auf Rückzahlung oder Nachzahlung entstehen, die trotz der rechtskräftigen Entscheidung im Gebührenprozess analog § 107 ZPO geltend gemacht werden könnten.
Rz. 127
Das OLG Frankfurt hat entschieden, ein offensichtlich unrichtiger, aber wegen § 63 Abs. 3 S. 2 GKG nicht mehr abänderbarer Wertfestsetzungsbeschluss berechtige den Anwalt ungeachtet des Abs. 1 nicht zur Abrechnung nach diesem falschen Wert. Im Kostenfestsetzungsverfahren müsse vom richtigen Wert ausgegangen werden.
Rz. 128
Alle diese Entscheidungen setzen sich über die Rechtskraftwirkung hinweg und stellen damit die rechtskräftige Klärung des Werts durch die frühere Entscheidung wieder in Frage.
Rz. 129
Der nach einem bestimmten Gegenstandswert zu berechnende Gebührenanspruch entsteht mit seiner Fälligkeit (§ 8 Abs. 1). Ergeht darüber ein Urteil oder Beschluss und erwächst die gerichtliche Entscheidung in Rechtskraft, dann verstößt es gegen das jeweilige Verfahrensrecht, diese rechtskräftige Entscheidung nachträglich als unverbindlich zu behandeln. Dem steht die materielle Rechtskraft entgegen:
Zitat
"Sie hat die Aufgabe, der allein noch möglichen Gefahr einer zweiten, widersprechenden Entscheidung zu begegnen. Da diese Gefahr nur von einem zweiten Verfahren droht, wird durch die materielle Rechtskraft jede neue Verhandlung und Entscheidung über die rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge ausgeschlossen. In diesem Sinne sind die staatlichen Organe und die Parteien an die rechtskräftige Entscheidung gebunden."
"Die Rechtskraft soll einer Kollision von Urteilen vorbeugen, die der Rechtssicherheit abträglich wären. Dem dient die Rechtskraftwirkung als Bindung der Gerichte an den Inhalt des Urteils in späteren Prozessen. Der Inhalt des rechtskräftigen Urteils ist in späteren Prozessen für das Gericht maßgeblich. Es hat ihn sowohl dann hinzunehmen, wenn derselbe Streitgegenstand wieder anhängig wird, als auch dann, wenn die Entscheidung des Prozesses von einer im rechtskräftigen Urteil entschiedenen Vorfrage abhängt."
"Die materielle Rechtskraft zwingt die Parteien, die Entscheidung über den Streitgegenstand ein für allemal hinzunehmen und zu befolgen. Die materielle Rechtskraft macht entweder die neue Klage überhaupt oder wenigstens den Streit über eine Vorfrage unzulässig. Sie stellt fest, was rechtens ist."
Rz. 130
Das alles sind Aussagen, die eine völlig einhellige Meinung wiedergeben. Ein "Nachkarten" über den Gegenstandswert ist danach ausgeschlossen, ganz abgesehen davon, dass beide Parteien des Honorarprozesses nach § 148 ZPO die Aussetzung des Rechtsstreits bis zur Streitwertfestsetzung im Ausgangsverfahren beantragen können. Gänzlich verfehlt ist der Hinweis auf eine Analogie zu § 107 ZPO. Diese Vorschrift handelt von der Berücksichtigung einer Wertänderung in demselben Rechtsstreit, nicht von dem Konflikt zwischen verschiedenen Verfahren. Dieser wesentliche Unterschied schließt eine Analogie aus.
Rz. 131
Erklären lassen sich die Entscheidungen des LG Nürnberg-Fürth, KG und OLG Frankfurt letztlich nur durch sachwidrige Vorgehensweise. Der BGH verneint die Zulässigkeit einer Streitwertbeschwerde, wenn deren Erfolg der quotierten Kostenentscheidung eines Urteils die rechnerische Grundlage entziehen könnte. Andere Gerichte bejahen zwar eine Streitwertänderung, lehnen aber eine Berichtigung der Kostenentscheidung ab. Hier wird also die Rechtskraft trotz fehlerhaften Streitwerts bejaht, nur um den falschen Schein einer richtigen Kostenentscheidung aufrechtzuerhalten. Wieder ein Anwendungsfall von "Zweierlei Maß"!
Rz. 132
Anwendbar sind § 62 S. 1 GKG, § 54 FamGKG und § 78 GNotKG nur, wenn die Festsetzungsentscheidung in der verfahrensrechtlich dafür vorgeschriebenen Verlautbarungsform ergeht.
Rz. 133
Über die sachliche Zuständigkeit muss durch Urteil entschieden werden. Im zivilprozessualen Erkenntnisverfahren ist es nicht vorgesehen, über die sachliche Zuständigkeit v...