Lotte Thiel, Norbert Schneider
Rz. 139
Ist der Wert für die Gerichtsgebühren nach den Gerichtskostengesetzen (GKG, FamGKG, GNotKG, KostO) festgesetzt worden, so ist die Festsetzung nach Abs. 1 auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend. Abs. 1 bestimmt in Ergänzung zu § 23 Abs. 1 S. 1 den Grundsatz, dass der Anwalt im gerichtlichen Verfahren den Wert für seine Tätigkeit nicht vorrangig aus dem für ihn geltenden Kostengesetz, dem RVG, ableiten darf, sondern der Wert des gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich auch für die Abrechnung seiner Gebühren maßgebend ist.
Rz. 140
Die Festsetzung des gerichtlichen Werts ist für den Anwalt nur vorgreiflich und bindend, wenn seine Gebühren in dem gerichtlichen Verfahren entstanden sind, an dem er beteiligt ist. Dabei kann es sich auch um Gebühren handeln, die vor Einleitung eines Rechtsstreits oder eines gerichtlichen Verfahrens oder nach Erledigung entstanden sind, aber nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 zum Gebührenrechtszug gehören.
Rz. 141
Anders verhält es sich, wenn der Anwalt zwar während des gerichtlichen Verfahrens tätig wird, jedoch nicht gegenüber dem Gericht, wie beim außergerichtlichen Vergleich. Dann muss er eine Wertfestsetzung nach § 33 Abs. 1 beantragen. § 32 ist in diesen Fällen nicht einschlägig. Eine Bindungswirkung kann insoweit nicht entstehen.
Rz. 142
Das gilt auch dann, wenn der außergerichtliche Vergleich Gegenstände einbezieht, die im anhängigen Rechtsstreit oder gerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht worden sind.
Rz. 143
Wird allerdings ein Vergleich über die Hauptsache und nicht anhängige weitere Ansprüche abgeschlossen und vor Gericht protokolliert oder kommt er gemäß § 278 Abs. 1 oder 6 ZPO (§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG) im Güteverfahren oder nach § 36 FamFG zustande, dann tritt die Bindungswirkung nach Abs. 1 für den Rechtsanwalt ein. In dieser Fallkonstellation fällt nämlich nach dem den Wert des Streit- oder Verfahrensgegenstands übersteigenden Wert der mitverglichenen Ansprüche eine 0,25-Gerichtsgebühr an (GKG-KostVerz. 1900; FamGKG-KostVerz. 1500; GNotKG-KostVerz. 17005). Um diese 0,25-Gebühr berechnen zu können, muss das Gericht auch den Wert für den Mehrwert des Vergleichs von Amts wegen für die Gerichtsgebühren festsetzen. Lediglich in Verfahren vor den Arbeitsgerichten ist hier nach § 33 RVG vorzugehen, da in diesem Fall keine Gerichtsgebühren erhoben werden (Vorb. 8 GKG-KostVerz.).
Rz. 144
Die Bindungswirkung nach Abs. 1 betrifft grundsätzlich nur eine Tätigkeit des Anwalts, die sich auf den Streit- oder Verfahrensgegenstand bezieht. Das Verfahren muss bereits anhängig sein. Rechtshängigkeit (§§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO) ist nicht erforderlich. Darüber hinaus erstreckt sich die Bindungswirkung aber auch auf den Mehrwert eines Vergleichs. Sogar die unterlassene Festsetzung eines Mehrwerts schafft (negative) Bindungswirkung.
Rz. 145
Berät der Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigte seinen Mandanten beispielsweise darüber, ob vorsorglich ein weiterer Rechtsstreit oder ein weiteres gerichtliches Verfahren gegen einen Dritten eingeleitet werden soll, dann ist der für das anhängige gerichtliche Verfahren festgesetzte Wert nicht bindend.
Rz. 146
Ebenso verhält es sich, wenn die auftragsgemäße Tätigkeit des Anwalts umfassender ist als die im gerichtlichen Verfahren ausgeübte Tätigkeit.
Beispiel: A ist Eigentümer zweier Personenkraftwagen vom Typ Mercedes und BMW. Diese Fahrzeuge hatte er dem B für dessen Hochzeitstag geliehen, der damit seine Gäste befördert hatte. B reagiert nicht auf die Forderung des A, die Fahrzeuge zurückzuschaffen. A beauftragt deshalb einen Anwalt damit, auf Herausgabe zu klagen. Der Verkehrswert des Mercedes beträgt 10.000 EUR, der des BMW 15.000 EUR. Der Anwalt fordert den B zur Herausgabe beider Wagen auf. B gibt nur den Mercedes frei. Deshalb wird die Herausgabeklage auf den BMW beschränkt. Der Anwalt hat die Verfahrensgebühr nach dem Wert beider Wagen verdient. Im Prozess kann der Streitwert aber nur nach dem Wert des BMW berechnet werden. Den Differenzbetrag der 0,8-Verfahrensgebühr nach VV 3101 Nr. 1 (unter Berücksichtigung des § 15 Abs. 3) nach den Werten 15.000 und 25.000 EUR (§ 40 GKG) muss der Anwalt notfalls gegen seinen Mandanten einklagen. Diesem steht gegen B ein Schadensersatzanspruch aus Verzug in entsprechender Höhe zu.
Rz. 147
Die Bindungswirkung ist darüber hinaus auf die Instanz beschränkt. Eine gegenüber der vorinstanzlichen Wertfestsetzung höhere oder niedrigere Wertbemessung durch das Berufungsgericht oder das Revisionsgericht hat keine Reflexwirkung für den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten. Dazu kann es nur kommen, wenn das erstinstanzliche oder das höherinstanzliche Gericht die Festsetzung von Amts wegen oder auf Gegenvorstellung oder auf eine Beschwerde hin abändert (§ 63 Abs. 3 S. 1 GKG; § 55 Abs. 3 S. 1 FamGKG; § 79 Abs. 2 GNotKG, § 31 Abs. 1 S. 2 KostO).