1. Abgrenzungen

 

Rz. 10

Erste Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Abs. 1 ist, dass ein gerichtliches Verfahren betrieben wird. Dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens auch Gegenstand der Tätigkeit eines gerichtlichen Verfahrens sein könnte (§ 23 Abs. 1 S. 3), reicht nicht aus.

Nicht notwendig ist aber, dass der Anwalt vor Gericht auftritt. Im gerichtlichen Verfahren werden auch der Verkehrsanwalt und der Terminsvertreter (VV 3401 f.) tätig.[6] Auch für sie gilt demnach als Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Abs. 1, dass sich der Wert für die Gerichtsgebühren und der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit nicht decken, § 32 also unanwendbar ist.

 

Rz. 11

In den nachfolgenden Beispielen ist Abs. 1 nicht anwendbar, weil es an einer Tätigkeit in einem gerichtlichen Verfahren fehlt und es sich auch nicht um vorbereitende Tätigkeiten handelt, da sie sich nicht auf den späteren Verfahrensgegenstand beziehen. Gegen eine Festsetzung nach Abs. 1 spricht in solchen Fällen zudem, dass das Gericht nicht wissen kann, wie der Auftrag des Mandanten an den Anwalt konkret lautet.

 

Beispiel 1: Der Anwalt soll den Schuldner auf Zahlung von 10.000 EUR verklagen. Bevor die Klage eingereicht wird, zahlt der Schuldner 5.000 EUR. Geklagt wird deshalb nur auf Zahlung von 5.000 EUR.

Der Anwalt verdient eine 1,3-Verfahrensgebühr aus 5.000 EUR (VV 3100) und eine 0,8-Verfahrensgebühr aus 5.000 EUR (VV 3101 Nr. 1). Wegen der vor Klageeinreichung erfüllten 5.000 EUR ist es nicht zu einem gerichtlichen Verfahren gekommen, und es kann deshalb auch kein Wert durch das Gericht festgesetzt werden.

Erstattungsfähig ist nur eine Verfahrensgebühr aus 5.000 EUR. Insgesamt steht dem Anwalt nach § 15 Abs. 3 nicht mehr zu als eine volle Gebühr aus dem Gegenstandswert von 10.000 EUR. Die Verfahrensgebühr nach VV 3101 Nr. 1 schuldet nur der Mandant. Der Anwalt muss notfalls sein Honorar einklagen. Der Mandant wiederum kann deswegen einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch gegen den Schuldner erlangt haben.

 

Beispiel 2: Der Anwalt erhält den Auftrag, A und B als Einzelschuldner auf Zahlung von jeweils 5.000 EUR zu verklagen. Bevor es dazu kommt, zieht der Mandant den Klageauftrag gegen B zurück, sodass nur gegen A geklagt wird.

Der Anwalt verdient eine 0,8-Verfahrensgebühr aus 5.000 EUR (VV 3101 Nr. 1) und eine 1,3-Verfahrensgebühr aus 5.000 EUR (VV 3100), insgesamt aber nicht mehr als eine volle Gebühr aus 10.000 EUR (§ 15 Abs. 3). Da es gegenüber B mangels Klageerhebung nicht zu einem Prozessrechtsverhältnis gekommen ist, kann durch das Gericht für B kein Wert festgesetzt werden.

Erstattungsfähig ist nur eine Verfahrensgebühr aus 5.000 EUR. Die 0,8-Verfahrensgebühr nach VV 3101 Nr. 1 schuldet der Mandant. Auch hier muss der Anwalt notfalls gegen seinen Auftraggeber klagen.

[6] LG München AnwBl 1963, 88.

2. Hilfsanträge

 

Rz. 12

Eine Fallgruppe eigener Art ist diejenige, in der neben einem Hauptanspruch oder zur Verteidigung gegen ihn hilfsweise Ansprüche geltend gemacht werden.

 

Beispiel: Geklagt wird primär auf Zahlung von 10.000 EUR, hilfsweise auf Herausgabe eines Pkw im Wert von 20.000 EUR. Entschieden wird nur über den Zahlungsantrag. Dann bestimmt nur dieser den Wert für die Gerichtsgebühren (§ 45 Abs. 1 S. 2 GKG). Der für die Anwaltsvergütung maßgebende Gegenstandswert des Hilfsantrags wird vom Gericht nicht bewertet und nicht festgesetzt.

Auch wenn der Hilfsantrag wertmäßig unberücksichtigt bleibt, stehen dem Anwalt die Gebühren dafür zu, da er sich auftragsgemäß damit befasst hat. Die gegenteilige Auffassung des BGH (siehe Rdn 15 ff.) ist unzutreffend und wird zu Recht kritisiert.

3. Hilfswiderklage/Hilfswiderantrag

 

Rz. 13

Eine Hilfswiderklage (Hilfswiderantrag) wird unter der Bedingung erhoben, dass die Klage (der Antrag) oder die Hauptwiderklage (Hauptwiderantrag) erfolglos oder erfolgreich sei.

 

Beispiel 1: Der Beklagte beantragt die Abweisung einer Klage auf Herausgabe eines Grundstücks; für den Fall seiner Verurteilung erhebt er hilfsweise Widerklage auf Ersatz seiner Verwendungen auf das Grundstück.

 

Beispiel 2: Der Beklagte beantragt die Abweisung einer Kaufpreisklage wegen Arglistanfechtung, hilfsweise für den Fall der Klageabweisung, widerklagend Herausgabe der vom Beklagten erbrachten Zahlungen.

 

Rz. 14

Der Wert der Hilfswiderklage (Hilfswiderantrag) wird dem Wert für die Klage (Antrag) nur hinzugerechnet, wenn darüber entschieden wird (§ 45 Abs. 1 S. 2 GKG; § 39 Abs. 1 S. 2 FamGKG). Das ändert jedoch nichts daran, dass der Anwalt des Beklagten (Antragsgegners) sich auftragsgemäß mit der Hilfswiderklage (Hilfswiderantrag) befasst und sie auch eingereicht und begründet hat.

4. Hilfsaufrechnung

 

Rz. 15

Der Gegner bestreitet die gerichtlich geltend gemachte Forderung. Er verteidigt sich hilfsweise damit, jedenfalls sei der Anspruch durch die von ihm erklärte Aufrechnung mit einer Gegenforderung erloschen.

 

Rz. 16

Wird über diesen Gegenanspruch nicht entschieden, weil der Antrag als unzulässig, unschlüssig oder beweisfällig zurückgewiesen werden muss, dann ist nur deren Wert maßgebe...

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