Rz. 96

Das Merkmal der Branchenüblichkeit wird durch den Anwalt selbst kaum zu ermitteln sein, zumal sich die Vergütungshöhe nach der individuellen Qualifikation des mandatierten Anwalts und den Umständen des Einzelfalls richtet. Der nach § 612 Abs. 2 BGB erforderliche Vergleich verbietet jedoch einen individuell-konkreten Prüfungsmaßstab; notwendig ist vielmehr eine objektive Betrachtungsweise. Maßgeblich für die Branchenüblichkeit ist daher eine nach Marktkriterien definierte Vergütung, die für eine "entsprechende Dienstleistung" gezahlt wird.[101] Die Frage der Üblichkeit erweist sich damit als empirisches Problem.[102] Als Determinanten in diesem Sinne sind die Kanzleigröße, die Mandatsstruktur und die Spezialisierung der Kanzlei zu berücksichtigen.[103] Eine in diesem Sinne übliche Vergütung wird erst dann ermittelt sein, wenn für den betreffenden Kammerbezirk das einschlägige Datenmaterial gesammelt und ausgewertet wurde.[104] Nur so kann das in Abs. 1 S. 2 angelegte vergütungsrechtliche Dilemma für die Anwaltschaft behoben werden. Unabhängig davon bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung den Begriff der üblichen Vergütung ausfüllen wird.

 

Rz. 97

Nach dem gebotenen empirischen Verständnis setzt eine Üblichkeit voraus, dass der Abschluss einer Gebührenvereinbarung für die in Abs. 1 S. 1 genannten Bereiche überhaupt in statistisch verwertbarer Zahl erfolgt. Dies ist angesichts ihrer aktuellen tatsächlichen Verbreitung zumindest für den Sektor der Mediation fraglich. So bezweifelt Risse[105] mit Recht, dass sich die übliche Vergütung i.S.d. § 612 Abs. 2 BGB für deutsche Wirtschaftsmediationen ermitteln lässt. Im Zweifel ist der empirisch ermittelte – allerdings kaum aktuelle – "Ecksatz" von 150 EUR/Stunde zugrunde zu legen (vgl. Rdn 79). Aktuelleres Datenmaterial legt deutlich höhere Stundensätze als übliche Vergütung näher.[106] Die Üblichkeit ist indes nicht allein nach zeitbasierten Kriterien zu qualifizieren. Auch eine gegenstandswertabhängige Gebühr kann im Einzelfall den Begriff der Üblichkeit ausfüllen.[107]

[101] Henssler, NJW 2005, 1537; Koch/Kilian, Anwaltliches Berufsrecht, 2007, Rn B 506.
[102] Zutreffend Kilian, BB 2006, 1509, 1511.
[103] So Kilian, BB 2006, 1509, 1511 unter Hinw. auf die empirische Studie des Soldan-Instituts für Anwaltsmanagement (Hommerich/Kilian, Vergütungsvereinbarungen deutscher Rechtsanwälte, 2006).
[104] Das Soldan Institut für Anwaltsmanagement hat angekündigt, insoweit ein jährliches "Vergütungsbarometer" auflegen zu wollen. Vgl. zu den Kernergebnissen der ersten Untersuchung Hommerich/Kilian, NJW 2009, 1569.
[105] Wirtschaftsmediation, 2003, § 13 Rn 2.
[106] https://www.juve.de/rechtsmarkt/stundensaetze.
[107] So AG Emmerich AnwBl 2008, 74 (0,75-Gebühr ist üblich).

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