a) Allgemeines
Rz. 104
Abs. 2 definiert die Angemessenheit einer vereinbarten Vergütung nicht. Für eine Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs bedarf es zunächst der Unterscheidung zwischen der Angemessenheit einer vereinbarten Vergütung im vergütungsrechtlichen Sinne und der Sittenwidrigkeit einer Vergütungsvereinbarung im zivilrechtlichen Sinne. Diese Differenzierung ist bereits mit Blick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen notwendig. Die unangemessene Vergütung führt zur Herabsetzung nach Abs. 2, die sittenwidrige Vergütung zur Nichtigkeit nach § 138 BGB. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist im Sinne einer ex-post-Betrachtung die Auftragserledigung oder Mandatsbeendigung i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 1, die Sittenwidrigkeit ist hingegen ex ante festzustellen.
Rz. 105
Die Abgrenzung der vergütungsrechtlichen Angemessenheit von der zivilrechtlichen Sittenwidrigkeit erschließt sich aus der Normsystematik der §§ 3a ff. Danach kann die Höhe der Vergütung in vier Kategorien eingeteilt werden:
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die gesetzliche Vergütung, |
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die die gesetzliche Vergütung übersteigende angemessene vereinbarte Vergütung, |
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die vereinbarte unangemessen hohe, aber noch nicht sittenwidrige Vergütung und |
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die sittenwidrige Vergütung. |
b) Sittenwidrigkeit
Rz. 106
Ist die vereinbarte Vergütung derart hoch, dass sie sittenwidrig, insbesondere wucherisch (§ 138 Abs. 2 BGB) ist, ist die Vereinbarung insgesamt nichtig. Die Nichtigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB erstreckt sich jedoch nicht auf den gesamten Anwaltsvertrag. Unwirksam ist nur die Vergütungsvereinbarung mit der Folge, dass dem Rechtsanwalt über § 612 Abs. 2 BGB lediglich die gesetzlichen Gebühren – oder in Ermangelung derselben die üblichen Gebühren (siehe § 34 Rdn 87 ff.) – zustehen. Der Auftraggeber schuldet die vereinbarte Vergütung auch nicht insoweit, als sie noch im Bereich des Angemessenen liegt. Eine Herabsetzung ist daher entbehrlich.
Rz. 107
Da Abs. 2 die Herabsetzung einer überhöhten vereinbarten Vergütung vorsieht, ist die Grenze zur Sittenwidrigkeit wesentlich höher anzusetzen als bei sonstigen zivilrechtlichen Fallgestaltungen. Die vom BGH zur Sittenwidrigkeit eines Austauschvertrags entwickelten allgemeinen Grundsätze sind insofern nicht anwendbar. Eine Sittenwidrigkeit kommt daher nur ausnahmsweise in Betracht, wenn objektiv ein besonders krasses Missverhältnis zwischen dem Wert der anwaltlichen Dienstleistung und der hierfür vereinbarten Vergütung besteht und subjektiv der Anwalt die Unerfahrenheit oder Zwangslage des Mandanten ausgenutzt hat. Nach der Rechtsprechung des BGH indiziert das auffällige Missverhältnis die verwerfliche Gesinnung des Anwalts i.S.d. § 138 Abs. 2 BGB. Eine Indizwirkung soll bei der Vereinbarung einer Stundensatzvergütung jedenfalls dann eintreten, wenn die gesetzlichen Gebühren um mehr als das 17fache überschritten wurden.
c) Angemessenheit
Rz. 108
Erweist sich die Vergütungsvereinbarung nicht als sittenwidrig, ist die Angemessenheit der vereinbarten Vergütung nach Abs. 2 zu prüfen. Eine Schlüsselrolle kommt dabei den für die Angemessenheitsprüfung maßgeblichen Kriterien zu.
aa) Quotientenrechtsprechung
Rz. 109
Die Rechtsprechung zu der Beurteilung der Angemessenheit ist uneinheitlich und bei näherer Betrachtung inkonsequent. Methodisch basiert die Judikatur weitgehend auf der Ermittlung des Quotienten zwischen dem vereinbarten und dem gesetzlichen Gebührensatz bzw. zwischen dem vereinbarten und dem gesetzlichen Streitwert für die Gebührenberechnung. Modifiziert wird diese "Quotientenrechtsprechung" durch die Art der Vergütung, den betroffenen Rechtsbereich und die Höhe des Streitwerts:
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So soll eine die gesetzliche Vergütung um mehr als das Fünffache übersteigende vereinbarte Vergütung in Zivilsachen jedenfalls bei hohen Streitwerten unmittelbar die Nichtigkeit der Vereinbarung nach § 138 BGB begründen. |
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Bei kleinen und mittleren Streitwerten soll hingegen auch das Merkmal der Aufwandsbezogenheit Berücksichtigung finden. |
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Bei einer zeitbasierten Vergütung soll eine Sittenwidrigkeit nicht in Betracht kommen, sofern der Stunden... |