Rz. 108
Erweist sich die Vergütungsvereinbarung nicht als sittenwidrig, ist die Angemessenheit der vereinbarten Vergütung nach Abs. 2 zu prüfen. Eine Schlüsselrolle kommt dabei den für die Angemessenheitsprüfung maßgeblichen Kriterien zu.
aa) Quotientenrechtsprechung
Rz. 109
Die Rechtsprechung zu der Beurteilung der Angemessenheit ist uneinheitlich und bei näherer Betrachtung inkonsequent. Methodisch basiert die Judikatur weitgehend auf der Ermittlung des Quotienten zwischen dem vereinbarten und dem gesetzlichen Gebührensatz bzw. zwischen dem vereinbarten und dem gesetzlichen Streitwert für die Gebührenberechnung. Modifiziert wird diese "Quotientenrechtsprechung" durch die Art der Vergütung, den betroffenen Rechtsbereich und die Höhe des Streitwerts:
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So soll eine die gesetzliche Vergütung um mehr als das Fünffache übersteigende vereinbarte Vergütung in Zivilsachen jedenfalls bei hohen Streitwerten unmittelbar die Nichtigkeit der Vereinbarung nach § 138 BGB begründen. |
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Bei kleinen und mittleren Streitwerten soll hingegen auch das Merkmal der Aufwandsbezogenheit Berücksichtigung finden. |
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Bei einer zeitbasierten Vergütung soll eine Sittenwidrigkeit nicht in Betracht kommen, sofern der Stundensatz vertretbar ist und die Gesamtvergütung nur aufwandsabhängig wächst. |
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Auch eine Zeitvergütung soll jedoch sittenwidrig sein, wenn sie den neunfachen Wert der gesetzlichen Gebühren übersteigt. |
Rz. 110
Unabhängig von einer Quotientenbildung greift die Rechtsprechung bei der Angemessenheitsprüfung auch auf allgemeine Billigkeitserwägungen zurück. Eine Vergütung ist danach erst dann unangemessen hoch, wenn bei objektiver Betrachtung ein Festhalten des Auftraggebers an der Vergütungsvereinbarung unter Berücksichtigung aller Umstände gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen würde. Die Herabsetzung der vereinbarten Vergütung stellt nämlich einen Eingriff in die Vertragsfreiheit dar, von dem nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden sollte.
Rz. 111
Insbesondere in Strafsachen hat der BGH in den letzten Jahren diese Quotientenrechtsprechung praktiziert. Er hat zunächst vertreten, dass bei einer Vereinbarung des Verteidigers mit dem Mandanten über eine Vergütung, die mehr als das Fünffache über den gesetzlichen Höchstgebühren liege, eine tatsächliche Vermutung für die Unangemessenheit spreche. Diese Vermutung solle nur entkräftet werden können, wenn der Anwalt ganz ungewöhnliche, geradezu extreme einzelfallbezogene Umstände darlegt, die es möglich erscheinen lassen, bei Abwägung aller für die Herabsetzungsentscheidung maßgeblichen Aspekte die Vergütung nicht als unangemessen hoch anzusehen. Auch die Vergütung der Tätigkeit eines Korrespondenzanwalts hat der BGH als unangemessen hoch angesehen, wenn das vereinbarte Honorar die gesetzliche Vergütung um mehr als das Fünffache übersteigt.
Rz. 112
Diese Rechtsprechung ist jedoch vom BVerfG überprüft worden, das einen Verstoß gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit bejaht hat. Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen die Urteile des OLG Dresden vom 10.4.2007 und des LG Leipzig vom 27.9.2006. Beide Gerichte hatten die Vergütungsklage des Beschwerdeführers unter ausdrücklichen Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH überwiegend abgewiesen. In schematischer Anwendung der "Quotientenrechtsprechung" und entgegen der Feststellungen des Gutachtens der zuständigen Rechtsanwaltskammer kam namentlich das LG Leipzig zu der Auffassung, das vom Beschwerdeführer vereinbarte Stundenhonorar von 320 EUR netto betrage mehr als das 6,5fache der gesetzlichen Höchstvergütung und sei daher nach § 3 Abs. 3 BRAGO (= § 3a Abs. 2 RVG) auf einen angemessenen Betrag herabzusetzen. Für eine Zeitvergütung könne dabei nichts anderes gelten wie für eine Pauschalvergütung.
Rz. 113
Als Reaktion auf die Entscheidung des BVerfG hat der BGH seine Quotientenrechtsprechung jedoch mitnichten aufgegeben. Die grundlegende These, dass eine über dem fünffachen Satz der gesetzlichen Vergütung liegende vereinbarte Vergütung die tatsächliche Vermutung der Unangemessenheit begründe, wird nämlich weiter vertreten. Der BGH modifiziert lediglich seine Anforderungen daran, wie der Anwalt im konkreten Fall diese Vermutung entkräften kann. Wurde bislang gefordert, dass der Anwalt ganz ungewöhnliche, geradezu extrem einzelfallbezogene Umstände darlegt, reicht es nach der vorliegenden Entscheidung aus, dass der Anwalt den Nachweis führt, dass die vereinbarte Vergütung im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände gleichwohl angemessen ist. Diese Grundsätze gelten nach BGH auch in Zivilsachen.
Rz. 114
Diese Rechtsprechung des BGH bezieht sich nicht nur auf Pauschal-, sondern auch auf Stundenhonorare, da in der Entscheidung eben auch die Vereinbarung einer reinen Zeitvergütung auf ihre Angemessenheit hin überprüft wurde. Hier ist Maßstab allerdings nicht der Umfang, in welchem die gesetzliche Vergütung überschritten wird. Nach Ansicht des BGH ist eine Vergütung nach Maßgabe eines...