I. Unterschreitung der gesetzlichen Vergütung (Abs. 1)
1. Normsystematik
Rz. 6
Eine Vereinbarung, die gegenüber der gesetzlichen Vergütung geringere Gebühren oder Auslagen vorsieht, ist nach dem Gebührenunterschreitungsverbot des § 49b Abs. 1 BRAO unzulässig, soweit das RVG nichts anderes bestimmt (siehe § 3a Rdn 19 ff.). Eine anderweitige Bestimmung in diesem Sinne ist Abs. 1. Danach kann in außergerichtlichen Angelegenheiten eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung zulässig vereinbart werden.
2. Außergerichtliche Angelegenheit
Rz. 7
Abs. 1 findet nur Anwendung auf eine Vergütungsvereinbarung, die für eine außergerichtliche Angelegenheit geschlossen wird. Aus der Bezugsgröße der gesetzlichen Vergütung folgt zudem, dass für die Tätigkeit des Anwalts in dieser außergerichtlichen Angelegenheit gesetzliche Gebühren existieren müssen. Keine Anwendung findet Abs. 1 daher auf die Bereiche der außergerichtlichen Beratung, der Begutachtung und der Mediation. Für die beiden erstgenannten Tätigkeiten hat der Gesetzgeber bereits mit Wirkung zum 1.7.2006 die gesetzlichen Gebührentatbestände aufgehoben; für die Mediation gab es eine staatliche Tarifierung der anwaltlichen Vergütung nie. Nach § 34 Abs. 1 können für alle drei Tätigkeitsbereiche Gebührenvereinbarungen ohne Rücksicht auf Abs. 1 getroffen werden; auch das Gebührenunterschreitungsverbot des § 49b Abs. 1 BRAO gilt insoweit nicht.
Rz. 8
Nachdem die Tätigkeitsbereiche des § 34 dem Anwendungsbereich des Abs. 1 nicht unterfallen (vgl. Rdn 7), verbleibt als praxisrelevante Fallgruppe in VV Teil 2 die Vereinbarung einer untertariflichen Vergütung im Bereich der außergerichtlichen Vertretung sowie der Prüfung der Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels. Ebenso gilt Abs. 1 In Verfahren nach VV Teil 4 bis 6, soweit der Anwalt außergerichtlich tätig ist, also im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren oder im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde. Insoweit hat eine Deregulierung zum 1.7.2006 nicht stattgefunden; die gesetzlichen Gebühren des RVG, namentlich die Geschäftsgebühr nach VV 2300, gelten fort. Auch die Neuregelung des Rechts der Vergütungsvereinbarung durch das Gesetz vom 12.6.2008 hat an diesem Befund nichts geändert.
3. Vergütung
Rz. 9
Dem Anwendungsbereich des Abs. 1 unterfällt die Vereinbarung einer Vergütung. Sie umfasst nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 die Gebühren und Auslagen. Im außergerichtlichen Bereich ist daher nicht nur die Vereinbarung untertariflicher Gebühren möglich, sondern auch die Vereinbarung geringerer Auslagen nach den VV 7000 ff. Beide Vereinbarungen können auch kumuliert werden.
Beispiel: Der Anwalt vertritt seinen Mandanten in einer mietrechtlichen Angelegenheit. Er wird beauftragt, den Mieter des Mandanten wegen wiederholter Verstöße gegen die Hausordnung schriftlich abzumahnen. Für diese außergerichtliche Tätigkeit (Schreiben einfacher Art) vereinbart der Auftraggeber mit seinem Anwalt in Unterschreitung der Gebühr des VV 2301 den Ansatz einer Geschäftsgebühr in Höhe von 0,2. Zugleich vereinbaren die Parteien die Reduzierung der Dokumentenpauschale gemäß VV 7000 auf 0,25 EUR ab der ersten Seite.
Rz. 10
Nach dem Wortlaut des Abs. 1 erfasst die Vorschrift alle Vergütungsmodelle. In außergerichtlichen Angelegenheiten kann eine Unterschreitung der Vergütung daher in Gestalt einer Pauschalvereinbarung (vgl. § 3a Rdn 59 ff.), aber auch einer Zeitvereinbarung (vgl. § 3a Rdn 62 ff.), erfolgen. Wie die Überschrift – "Erfolgsunabhängige Vergütung" – verdeutlicht, regelt § 4 jedoch nicht abschließend die Voraussetzungen, unter denen eine erfolgsbasierte Vergütung vereinbart werden kann. Insoweit erweist sich § 4a als lex specialis.
Rz. 11
Auf eine Gebührenvereinbarung nach § 34 findet Abs. 1 keine Anwendung (siehe Rdn 7).
4. Keine Anrechnung
Rz. 12
Hat der Anwalt für seine außergerichtliche Tätigkeit ein (Pauschal- oder Stunden-)Honorar aus einer Vergütungsvereinbarung erhalten, greift die Anrechnungsvorschrift der VV Vorb. 3 Abs. 4 nicht ein. Denn die Anrechnung wird in VV Vorb. 3 Abs. 4 ausdrücklich auf "eine Geschäftsgebühr nach Teil 2" beschränkt. Schließt der Mandant mit seinem Anwalt eine Vergütungsvereinbarung, so kann eine "Geschäftsgebühr nach Teil 2" nicht entstehen und folglich auch nicht im Rahmen der Anrechnung berücksichtigt werden. Man kann die Regelung in VV Vorb. 3 Abs. 4 auch nicht dahingehend auslegen, dass sie auch fiktive Geschäftsgebühren erfassen will. Denn dagegen spricht schon der klare Wortlaut der gesetzlichen Regelung ("Soweit ... entsteht..."). Die in der Praxis untragbaren Auswirkungen dieser Ansicht werd...