Rz. 31
Weitere Voraussetzung nach S. 2 ist, dass zum Zeitpunkt der Aufrechnung (gemeint also der Aufrechnungserklärung)
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eine Urkunde über die Abtretung oder |
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eine Anzeige des Beschuldigten über die Abtretung |
in den Akten vorliegen muss.
Wird eine nur vom Mandanten unterschriebene Abtretungserklärung vorgelegt, ist dies zwar keine "Urkunde über die Abtretung", aber auch dann eine "Anzeige des Beschuldigten über die Abtretung", wenn sie vom Verteidiger, und nicht vom Mandanten, zur Akte gegeben wird.
Rz. 32
Fehlt es an einer wirksamen Urkunde über die Abtretung oder einer wirksamen Anzeige, bleibt die Aufrechnung wirksam. Mit dieser Regelung sollen Zweifel an der Wirksamkeit der Aufrechnungserklärung ausgeschlossen werden. Es soll verhindert werden, dass im Nachhinein eine Abtretung vordatiert wird. Zudem enthält diese Vorschrift auch einen gewissen Vertrauensschutz für die Staatskasse.
Beispiel 1: Zu Beginn des Verfahrens lässt sich der Verteidiger wegen seiner Gebühren sämtliche eventuellen Erstattungsansprüche abtreten. Die Abtretung wird
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mündlich vereinbart, |
b) |
in einer Urkunde festgehalten. |
Die Abtretung wird jedoch nicht offen gelegt. Nach rechtskräftigem Abschluss rechnet die Staatskasse ab. Nunmehr beruft sich der Verteidiger auf
a) |
die mündliche Abtretung, |
b) |
die nunmehr vorgelegte Abtretungsurkunde. |
In beiden Fällen wird er durch S. 1 nicht mehr geschützt. Die Abtretung als solche bleibt zwar wirksam. Die Staatskasse kann jedoch auch nach Offenlegung der Abtretung gegenüber dem Anwalt aufrechnen.
Hatte die Staatskasse allerdings Kenntnis von der Abtretung, bevor ihre Forderung fällig geworden ist, ist die Aufrechnung nach § 406 BGB erst gar nicht möglich. Dem Schutz des S. 1 bedarf es dann nicht mehr.
Beispiel 2: Zu Beginn des Verfahrens lässt sich der Verteidiger sämtliche Erstattungsansprüche abtreten. Der Mandant wird auf Kosten der Staatskasse freigesprochen. Nunmehr erklärt der Verteidiger schriftsätzlich, dass ihm die Forderung abgetreten sei, legt eine Inkassovollmacht vor und beantragt die Kostenfestsetzung und Auszahlung des festzusetzenden Betrages an sich. Eine Abtretungsurkunde legt er nicht vor. In einem späteren Verfahren wegen einer anderen Tat wird der Beschuldigte zu einer Geldstrafe verurteilt. Nunmehr erklärt die Staatskasse die Aufrechnung.
Eine Aufrechnung ist nach § 406 BGB gar nicht möglich, da zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Geldstrafe die Erstattungsforderung bereits abgetreten war und die Staatskasse aufgrund der schriftsätzlichen Mitteilung davon Kenntnis hatte. Auf S. 2 kommt es erst gar nicht an.
Rz. 33
Man wird in diesem Fall den Anwendungsbereich des S. 1 auch nicht dahin ausdehnen können, dass auch zum Nachweis einer Abtretung vor Fälligkeit der Gegenforderung nur die in S. 2 zugelassenen Mittel zulässig sind. Die Vorschrift nach S. 1 hat nämlich nur zur Rechtsfolge, dass eine Aufrechnung unwirksam wird. Damit ist aber logische Voraussetzung, dass sie nach allgemeinen Vorschriften erst einmal wirksam ist.
Rz. 34
Unklar ist weiterhin das Erfordernis des S. 2, dass sich die Abtretungsurkunde oder die Erklärung des Beschuldigten zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung "in den Akten" befinden müsse. Fraglich ist nämlich, welche Akten gemeint sind. M. E. muss es sich nicht um die Akten des betreffenden Verfahrens handeln. Es muss ausreichen, wenn sich die Abtretungsurkunde in den Akten eines anderen Verfahrens, etwa eines Parallelverfahrens, befindet. Dem Beweiszweck ist dann genüge getan.
Beispiel: Der Beschuldigte ist wegen Betruges und wegen Diebstahls in zwei verschiedenen Verfahren angeklagt. Im Diebstahlverfahren legt der Verteidiger die Abtretungsurkunde im Original vor. Daraus ergibt sich, dass dem Verteidiger sowohl die Kostenerstattungsansprüche aus dem Diebstahlverfahren als auch aus dem Betrugsverfahren abgetreten sind. Im Betrugsverfahren kommt es zu einem Teilfreispruch. Die Staatskasse rechnet auf.
Der Anwalt kann sich nunmehr auf S. 1 berufen, auch wenn die Abtretungsurkunde sich nicht in den Akten des Betrugsverfahrens, sondern in denen des Diebstahlsverfahrens befindet.
Rz. 35
Eine andere Auslegung würde insbesondere zu Schwierigkeiten führen, wenn Verfahren getrennt werden. Der Verteidiger müsste dann in dem abgetrennten Verfahren nochmals eine Urkunde nachreichen.
Rz. 36
M. E. ist es auch nicht erforderlich, dass das Original der Urkunde vorgelegt wird. Es reicht eine Kopie der Abtretungsurkunde aus, zumal darin ohnehin eine Mitteilung des Beschuldigten zu sehen sein dürfte. Man kann vom Verteidiger nicht verlangen, dass er das Original aus den Händen gibt. Insbesondere dann, wenn die Verfahren getrennt werden, wäre der Verteidiger anderenfalls gezwungen, eine zweite Originalurkunde zu beschaffen.
Rz. 37
Nach h.M. soll die Abtretungsanzeige des Anwalts nicht ausreichen. Das erscheint mir zu weitgehend, da der Verteidiger die Anzeige zumindest auch im Namen des Vertretenen erklärt.