Peter Fölsch, Norbert Schneider
Rz. 74
Es ist nicht erforderlich, dass die Erstreckung jeweils eine andere "Angelegenheit" (Abs. 5 S. 1) im technischen bzw. gebührenrechtlichen Sinn (§ 15) umfassen muss. Zwar gelten auch die Verfahren betreffend einen Arrest, eine einstweilige Verfügung, den Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung oder eine einstweilige bzw. vorläufige Anordnung (Nr. 2) grundsätzlich als besondere Angelegenheiten (§ 17 Nr. 4, § 18 Abs. 1 Nr. 1). Teilweise werden jedoch mehrere gleichartige Nebenverfahren zu einer Angelegenheit zusammengefasst (§ 18 Abs. 1 Nr. 1). Außerdem bildet die Verteidigung gegen eine Widerklage (Nr. 4) nur einen eigenen Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit nach § 22 Abs. 1.
aa) Zwangsvollstreckung, Vollstreckung und Verwaltungszwang (Nr. 1)
Rz. 75
Die Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts für den Rechtsstreit bzw. das Hauptsacheverfahren erstreckt sich nicht auf die Zwangsvollstreckung, die Vollstreckung (vgl. z.B. §§ 86 ff. FamFG) und das Verwaltungszwangsverfahren. Insoweit muss gem. § 119 ZPO vom Vollstreckungsgericht gesondert PKH bzw. VKH bewilligt (vgl. § 119 Abs. 2 ZPO; § 76 FamFG) und nach Abs. 5 S. 2 Nr. 1 ein Rechtsanwalt gesondert ausdrücklich beigeordnet werden. Das gilt sowohl für den Gläubiger als auch für den Schuldner.
Rz. 76
Gem. § 119 Abs. 2 ZPO umfasst die Bewilligung von PKH für die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen alle Vollstreckungshandlungen im Bezirk des Vollstreckungsgerichts einschließlich des Verfahrens auf Abgabe der Vermögensauskunft und der eidesstattlichen Versicherung. Die Zwangsvollstreckung in unbewegliches Vermögen bedarf damit einer gesonderten Bewilligung. Über die Beiordnung eines Rechtsanwalts entscheidet das Vollstreckungsgericht neben der Bewilligung aber stets gesondert, vgl. § 121 Abs. 2 ZPO. So ist die Bewilligung von PKH ohne Beiordnung eines Rechtsanwalts ohne Weiteres möglich. Eine umfassende Beiordnung eines Rechtsanwalts für alle Vollstreckungsmaßnahmen ist damit nicht zwingend.
Rz. 77
Die Erinnerung gem. § 766 ZPO gehört gem. § 19 Abs. 2 Nr. 2 zu der angefochtenen Vollstreckungsmaßnahme i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 1, 2. Die Tätigkeit im Erinnerungsverfahren löst daher keine eigenständige Gebühr aus, sondern ist mit der bereits verdienten Gebühr für die Vollstreckungsmaßnahme abgegolten. Andererseits gilt die gesonderte ausdrückliche Beiordnung für die Zwangsvollstreckung aber auch für das Erinnerungsverfahren.
Rz. 78
Beschwerdeverfahren in Vollstreckungsangelegenheiten (§ 793 ZPO) bilden gem. § 18 Abs. 1 Nr. 3 eine besondere gebührenrechtliche Angelegenheit. Deshalb ist hierfür eine gesonderte PKH-Bewilligung und eine ausdrückliche Beiordnung erforderlich.
Rz. 79
Aus der Vollstreckung hervorgehende Rechtsstreitigkeiten (§§ 767, 771 ZPO) bilden eine besondere gebührenrechtliche Angelegenheit, so dass hierfür eine gesonderte PKH-Bewilligung und Beiordnung erforderlich ist.
bb) Arrest, Europäischer Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung, einstweilige Verfügung und einstweilige Anordnung (Nr. 2)
Rz. 80
Für das Verfahren über den Arrest, den Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung, die einstweilige Verfügung und die einstweilige Anordnung ist wegen § 119 ZPO die Beantragung von PKH und deren Bewilligung erforderlich. Außerdem bedarf es für einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse nach Abs. 5 S. 2 Nr. 2 einer ausdrücklichen Beiordnung für diese Verfahren. Die Bewilligung und Beiordnung für das Hauptsacheverfahren erstreckt sich damit nicht automatisch auf diese Verfahren, die verfahrensrechtlich und auch gebührenrechtlich (§ 17 Nr. 4) selbstständige Angelegenheiten sind.
Rz. 81
Ist diese ausdrückliche Beiordnung erfolgt, erstattet die Staatskasse gem. § 48 Abs. 2 S. 1 neben der Vergütung für diese Verfahren auch eine Vergütung für die Vollziehung oder Vollstreckung der dort ergangenen Entscheidungen, es sei denn, das Gericht bestimmt im Beiordnungsbeschluss ausdrücklich etwas anderes, § 48 Abs. 2 S. 2 (Rdn 57 ff.).
Rz. 82
Die ausdrückliche Beiordnung nach Abs. 5 S. 2 umfasst auch die in § 16 Nr. 5 geregelten und mit dem Verfahren über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, über den Erlass einer einstweiligen Verfügung oder einstweiligen Anordnung dieselbe Angelegenheit bildenden Verfahren, nämlich das Verfahren über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, über die Aufhebung der Vollziehung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts und jedes Verfahren über deren Abänderung, Aufhebung oder Widerruf (vgl. §§ 926, 927 ZPO, § 54 FamFG, §§ 80 Abs. 5, 123 VwGO, §§ 69 Abs. 3, 4, 114 FGO).
Siehe dazu auch Rdn 57 ff.
cc) Selbstständiges Beweisverfahren (Nr. 3)
Rz. 83
Das selbstständige Beweisverfahren (§§ 485 ff. ZPO) ist gegenüber dem Erkenntnisverfahren eine selbstständige gebührenrechtliche Angelegenheit. Deshalb ist hierfür eine gesonderte PKH-Bewilligung (§ 119 ZPO) und eine ausdrückliche Beiordnung erforderlich. Unerheblich ist, in welcher zeitlichen Reihenfolge die Verfahren geführt werden. Eine PKH-Bewi...