Peter Fölsch, Norbert Schneider
aa) Anwendungsbereich
Rz. 139
Die Regelung des Abs. 6 S. 3 hat nur Bedeutung, wenn der Anwalt in einem oder mehreren verbundenen Verfahren bereits bestellt oder beigeordnet war, in einem anderen oder mehreren hinzuverbundenen Verfahren dagegen nicht. Abs. 6 S. 3 gilt daher nicht, wenn
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die Bestellung oder Beiordnung erst nach einer Verbindung erfolgt ist. |
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der Anwalt bereits vor Verbindung in allen einzelnen Verfahren bestellt oder beigeordnet war. |
In diesen Fällen bleibt es bei Abs. 6 S. 1 u. 2.
Rz. 140
Nur wenn nicht bereits einer der beiden vorgenannten Fälle vorliegt, kommt Abs. 6 S. 3 zur Anwendung. Ist dies nicht der Fall, führt die bloße Verbindung (noch) nicht zur Erstreckung nach Abs. 6 S. 1 oder S. 2. Die Erstreckung tritt dann nur bei entsprechender Anordnung des Gerichts ein. A.A. ist das LG Magdeburg. Danach soll sich die Beiordnung im führenden Verfahren auf alle verbundenen Verfahren auch dann erstrecken, wenn das Gericht einen Pflichtverteidiger beiordnet und in der Folgezeit sämtliche Verfahren miteinander verbindet, ohne jedoch die weiteren Beiordnungsanträge zuvor einzeln zu bescheiden.
Beispiel: Gegen den späteren Angeklagten ist zunächst getrennt ermittelt worden wegen des Verdachts des Betruges (Az. 1/21) und des Verdachts des Diebstahls (Az. 2/21). Es wird in beiden Verfahren Anklage erhoben. Im Verfahren 1/11 wird der Anwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet. Später werden beide Verfahren miteinander verbunden und die Hauptverhandlung gemeinsam durchgeführt. Führend ist das Verfahren 1/21.
Im Verfahren 1/21 erhält der Anwalt sämtliche Gebühren und Auslagen aus der Landeskasse, und zwar auch für die Zeit vor seiner Bestellung, also für das vorbereitende Verfahren. Im Verfahren 2/21 ist der Anwalt nicht bestellt worden, sodass er hier bis zur Verbindung keine Vergütung aus der Landeskasse erhält. Nur Gebühren, die im verbundenen Verfahren noch entstehen, kann der Anwalt insoweit aus der Landeskasse verlangen.
Er erhält also:
I. Vorbereitendes Verfahren 1/21
1. |
Grundgebühr, VV 4100 |
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176,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, VV 4104 |
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145,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
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20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
341,00 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
64,79 EUR |
Gesamt |
|
405,79 EUR |
II. Erstinstanzliches gerichtliches Verfahren 1/21
1. |
Verfahrensgebühr, VV 4106 |
|
145,00 EUR |
2. |
Terminsgebühr, VV 4108 |
|
242,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
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Zwischensumme |
407,00 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
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77,33 EUR |
Gesamt |
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484,33 EUR |
Eine Vergütung für das Verfahren 2/21 erhält der Anwalt aus der Landeskasse nicht.
bb) Erstreckung bei Anordnung nach Abs. 6 S. 3
Rz. 141
Das Gericht kann allerdings nach Abs. 6 S. 3 anordnen, dass sich die Wirkung des Abs. 6 S. 1 auch auf diejenigen Verfahren erstrecken soll, in denen vor der Verbindung keine Beiordnung oder Bestellung erfolgt war. Geschieht dies, dann kann der Anwalt auch in diesen Verfahren die dort entstandenen Gebühren und Auslagen verlangen.
Beispiel: Wie vorangegangenes Beispiel; jedoch hat das Gericht mit Verbindung angeordnet, dass sich die Bestellung auch auf das hinzuverbundene Verfahren erstrecken soll.
Jetzt kann der Anwalt auch im Verfahren 2/21 seine Vergütung aus der Landeskasse verlangen.
Er erhält also neben der im vorangegangenen Beispiel abgerechneten Vergütung zusätzlich:
III. Vorbereitendes Verfahren 2/21
1. |
Grundgebühr, VV 4100 |
|
176,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, VV 4104 |
|
145,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
341,00 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
64,79 EUR |
Gesamt |
|
405,79 EUR |
IV. Erstinstanzliches gerichtliches Verfahren 2/11
1. |
Verfahrensgebühr, VV 4106 |
|
145,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
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Zwischensumme |
165,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
31,35 EUR |
Gesamt |
|
196,35 EUR |
Rz. 142
Findet eine Verbindung erst im Rechtsmittelverfahren statt, kann nach dem Wortlaut des Abs. 6 S. 3 eine Erstreckung nicht ausgesprochen werden. Ob dies vom Gesetzgeber tatsächlich gewollt war, ist nicht zu ersehen. Große Praktische Auswirkungen hat dies allerdings nicht.
Beispiel: Der Angeklagte ist sowohl wegen Betruges (Az. 1/21) als auch wegen Diebstahls (Az. 2/21) verurteilt worden und hat in beiden Fällen Berufung eingelegt. Im Verfahren 1/11 war der Anwalt als Pflichtverteidiger bestellt. In beiden Verfahren findet ein Hauptverhandlungstermin statt. Die Hauptverhandlung wird in beiden Verfahren ausgesetzt. Anschließend werden beide Verfahren verbunden.
Die Verbindung selbst hat keinerlei Auswirkungen und führt insbesondere nicht dazu, dass der Anwalt seine Vergütung im Verfahren 2/21 aus der Landeskasse beanspruchen kann. Nach dem Wortlaut des Abs. 6 S. 3 kann das Gericht in diesem Fall auch nicht anordnen, dass sich die Beiordnung auf das hinzuverbundene Verfahren rückwirkend erstrecke, da dies nach dem Wortlaut des Gesetzes nur im erstinstanzlichen Verfahren möglich ist.
cc) Ermessen des Gerichts
Rz. 143
Die Erstreckung der Bewilligung oder der Beiordnung steht im Ermessen des Gerichts...