aa) Einzelfall
Rz. 14
Um den Ausnahmecharakter der Zulässigkeit der Vereinbarung erfolgsbasierter Vergütungen zu unterstreichen, fordert Abs. 1 S. 1 eine Einzelfallprüfung. Erforderlich ist aus anwaltlicher Sicht eine individuelle Befassung mit jedem einzelnen Auftrag und seinem Auftraggeber unter Berücksichtigung der mandatsspezifischen Besonderheiten. So soll eine leichtfertige, ausufernde oder gar schematische Vereinbarung von Erfolgshonoraren verhindert werden. Unzulässig ist daher z.B. die Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung durch allgemeine Mandatsbedingungen gegenüber allen Mandanten oder eine entsprechende Rahmenvereinbarung gegenüber einzelnen Mandanten im Zuge ihrer ständigen Beratung und Vertretung.
bb) Zugang zum Recht
Rz. 15
Abs. 1 normiert den vom BVerfG formulierten Ausnahmetatbestand für die Vereinbarung eines Erfolgshonorars. Auch Rechtsuchende, die aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse keine Prozesskosten- oder Beratungshilfe zu beanspruchen hätten, könnten vor der Entscheidung stehen, ob es ihnen die eigene wirtschaftliche Lage vernünftigerweise erlaube, die finanziellen Risiken einzugehen, die angesichts des unsicheren Ausgangs der Angelegenheit mit der Inanspruchnahme qualifizierter rechtlicher Betreuung und Unterstützung verbunden seien. Für diese Rechtsuchenden sei das Bedürfnis anzuerkennen, das geschilderte Risiko durch die Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung zumindest teilweise auf den vertretenden Rechtsanwalt zu verlagern. Ein entgegenstehendes Verbot hielte diese Rechtsuchenden davon ab, ihre Rechte überhaupt zu verfolgen. Ein Ausnahmetatbestand müsse daher zumindest für die Fälle eröffnet werden, in denen aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Auftraggebers bei verständiger Betrachtung erst die Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung die Inanspruchnahme qualifizierter anwaltlicher Hilfe – und damit die Inanspruchnahme von Rechtsschutz schlechthin – ermögliche. Hier diene das Erfolgshonorar der Sicherung des Zugangs zum Recht.
cc) Privilegierter Personenkreis
Rz. 16
Verfassungsrechtlich geboten ist mithin der Zugang zum Recht über das Erfolgshonorar für den mittellosen Auftraggeber, der von der Inanspruchnahme von Prozesskosten- und Beratungshilfe ausgeschlossen ist. Er ist auf die Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung zwingend angewiesen, um seine Rechte überhaupt geltend machen zu können. Der unbemittelte Rechtsuchende ohne Anspruch auf das staatliche Armenrecht ist daher der Prototyp der gesetzlichen Neuregelung; er kann sich daher stets auf Abs. 1 berufen. Die Definition der Mittellosigkeit wird in der Praxis freilich zu erheblichen Abgrenzungsproblemen führen.
Rz. 17
Das bisherige Verbot, im Rahmen der Beratungshilfe Vereinbarungen und damit auch erfolgsabhängige Vereinbarungen zu schließen, ist zum 1.1.2014 durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts aufgehoben worden, so dass auch hier erfolgsabhängige Vereinbarungen möglich sind.
Rz. 18
Das BVerfG hat den Anwendungsbereich eines zu schaffenden Ausnahmetatbestands ohnehin nicht explizit auf den bedürftigen Auftraggeber beschränkt. Nach dem Verständnis des Reformgesetzgebers sollen von der Möglichkeit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars daher auch diejenigen Rechtsuchenden profitieren, die vermögend sind und deshalb keine Prozesskosten- oder Beratungshilfe erlangen können. Auch vermögende Mandanten oder mittelständische Unternehmen können vor der Entscheidung stehen, ob sie das finanzielle Risiko eingehen wollen, das ein Prozess mit unwägbarem Ausgang birgt. Auch sie sollen daher die Möglichkeit erhalten, mit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars ihr Kostenrisiko zu begrenzen. Diese Möglichkeit soll nicht nur dem "armen Mann" eröffnet sein; auch der Mittelstand soll nach dem Verständnis des BVerfG von der Neuregelung profitieren.
Rz. 19
Entscheidend ist danach nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Auftraggebers, sondern das mit der Verfolgung seiner Rechte verbundene wirtschaftliche Risiko. Je höher es ist, desto plausibler erscheint eine Berufung auf Abs. 1 S. 1. Dessen Voraussetzungen werden also namentlich dann erfüllt sein, wenn der Auftraggeber um Vermögensrechte streitet, die den einzigen oder wesentlichen Bestandteil seines Vermögens ausmachen. In Betracht kommen dabei etwa
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ein hoher Erbanteil |
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ein hoher Entschädigungsbetrag |
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eine hohe, aber streitige Schmerzensgeldforderung |
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der Kauf oder Verkauf eines Unternehmens |
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ein riskanter Bauprozess. |
Rz. 20
Materiell-rechtlich erweist sich die Fassung des Abs. 1 damit als weite Regelung. Sie überlässt es letztlich dem argumentativen und sprachlichen Geschick der Vertragsparteien, unter Hinweis auf die wirtschaftlichen Verh...