1. Gebühren und Auslagen

 

Rz. 16

Ausgangspunkt der Betrachtung, inwieweit dem ersten Anwalt bereits verdiente Gebühren nachträglich wieder entzogen werden, ist die Gebührenforderung des neu beigeordneten Anwalts. Denn nur soweit die Gebührentatbestände deckungsgleich sind, verliert der erste Anwalt seinen Anspruch. Dabei ist der Begriff der Gebühr untechnisch zu verstehen. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die Staatskasse schadlos zu stellen, fallen darunter auch die Auslagen gem. VV Teil 7, insbesondere die Kostenpauschale nach VV 7002, ebenso etwaige Geschäftsreisekosten sowie sonstige Aufwendungen gem. § 46.[22]

[22] Gebühren und Auslagen: Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, § 54 Rn 25; Mayer/Kroiß/Klees, RVG, § 54 Rn 12; Hartung/Schons/Enders/Hartung, RVG, § 54 Rn 30; OLG Hamburg Rpfleger 1977, 420; a.A. nur Gebühren: OLG Jena JurBüro 2006, 366; LG Zwickau 4.5.2009 – 2 Qs 82/09, StRR 2009, 242; Riedel/Sußbauer/Kremer, RVG, § 54 Rn 3 und 10; so auch mit ausf. Begründung Burhoff/Volpert, RVG, B § 54 Rn 5.

2. Anspruch des neu beigeordneten Anwalts

 

Rz. 17

Der neu beigeordnete Anwalt hat grundsätzlich Anspruch auf sämtliche Gebühren, die im Rahmen seiner Beiordnung aufgrund seiner anwaltlichen Tätigkeit erneut oder erstmalig anfallen.[23] Vor allem kann er eine Gebühr für das Betreiben des Geschäfts (Verfahrensgebühr) verlangen, weil diese Gebühr immer wieder neu zur Entstehung gelangt.[24] Bis zur letzten mündlichen Verhandlung fällt auch eine bereits vor seiner Beiordnung entstandene Terminsgebühr in seiner Person erneut an, wenn er nur einmal an der Verhandlung teilnimmt, auch wenn die Anträge nicht ausdrücklich erneut gestellt werden.[25]

[24] Vgl. OLG Zweibrücken NJW-RR 1999, 436.
[25] OLG Hamburg JurBüro 1985, 1655: "Grundsatz der Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der mündlichen Verhandlung".

3. Beschränkung des Gebührenanspruchs des neu beigeordneten Anwalts

 

Rz. 18

Das mit dem Anwaltswechsel befasste Gericht ist nicht ohne weiteres befugt, den Gebührenanspruch des neu beigeordneten Anwalts zu beschränken und ihn mit der Maßgabe beizuordnen, eine Vergütung solle ihm lediglich insoweit zustehen, als Gebühren bislang nicht entstanden seien. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, der bei der Festsetzung nach § 55 eine Recht sprechende Tätigkeit ausübt und also keiner Weisung unterliegt,[26] an eine solche Einschränkung nicht gebunden sei, weil ihr die Ermächtigungsgrundlage fehlt.[27] Im Vordringen begriffen ist allerdings die Ansicht, dass der Anwalt gegen eine willkürliche Einschränkung durch ein Beschwerderecht entsprechend § 127 ZPO hinreichend geschützt werde. Hierfür spricht insbesondere das Prinzip der Rechtsklarheit. Demnach ist der Beiordnungsbeschluss mitsamt Einschränkung für den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle verbindlich, wenn die Anfechtung unterbleibt.[28]

[26] OLG Naumburg NJW 2003, 2921.
[27] OLG Hamm FamRZ 1995, 748; OLG Düsseldorf FamRZ 1993, 819; KG JurBüro 1981, 706 und KG AnwBl 1960, 120.

4. Verzicht des neu beigeordneten Anwalts

 

Rz. 19

Allerdings kann der neu beigeordnete Anwalt jederzeit und also auch schon vor seiner Beiordnung gegenüber dem Gericht wirksam auf jene Gebühren verzichten, die bereits dem ersten Anwalt zustehen, soweit diese in seiner Person abermals entstehen sollten. Verzichtet daher der neue Anwalt ausdrücklich gegenüber der Staatskasse auf die ihm zustehenden Gebühren oder einen Teil dieser Gebühren, können diese Gebühren auch vom zunächst beigeordneten oder bestellten Anwalt geltend gemacht werden, soweit sie in seiner Person entstanden sind. Die Staatskasse soll durch § 54 vor einer Doppelzahlung geschützt werden, die dann aufgrund des ausdrücklich erklärten Verzichts des neuen Anwalts nicht eintreten kann (vgl. zum Verzicht auf den Vergütungsanspruch auch § 45 Rdn 34).[29]

[29] OLG Karlsruhe 22.11.2017 – 18 WF 210/16, AGS 2018, 85; KG JurBüro 1982, 1694; OLG Zweibrücken JurBüro 1994, 749.

5. Gegenüberstellung der verdienten Gebühren – Umfang des Verlustes

 

Rz. 20

Soweit Gebühren oder Auslagen doppelt angefallen sind, muss der erste Anwalt bei einem von ihm verschuldeten Anwaltswechsel immer zurückstehen.[30] Das gilt allerdings nur für Gebühren und Auslagen, die ohne Anwaltswechsel lediglich einmal hätten anfallen können (vgl. § 15 Abs. 2). Hätten sie indes auch dann nebeneinander Bestand, wenn es bei der ersten Beiordnung geblieben wäre, findet eine Anspruchskürzung nicht statt. Denn die Vorschrift will einzig vermeiden, dass der Staatskasse durch ein Anwaltsverschulden Mehrkosten entstehen. Sie soll hingegen keine Kostenersparnis zu Lasten des ersten Anwalts bewirken.

Das bedeutet:[31]

Die deckungsgleichen Gebühren erhält nur der neu beigeordnete oder bestellte Anwalt.
Nur die Gebühren, die in der Person des neu beigeordneten oder bestellten Anwalts nicht entstehen, kann der bisherige Anwalt fordern.
Wird der zunächst beigeordnete oder bestellte Anwalt zwar entpflichtet, aber kein neuer An...

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