1. Überprüfung der Gebührenbestimmung (§ 14 Abs. 1)

 

Rz. 176

Erhält der Anwalt Rahmengebühren (vgl. VV 3102, 3106, 3204, 3205, 3212, 3213), so hat der Urkundsbeamte nicht nur zu prüfen, ob der jeweilige Gebührentatbestand erfüllt ist, sondern er hat auch eine Billigkeitskontrolle (§ 315 Abs. 3 S. 1 BGB) hinsichtlich der Bestimmung der Gebühr durch den Anwalt (§ 14 Abs. 1 S. 1) für die Staatskasse vorzunehmen. Die Staatskasse muss daher keine Einwendungen gegen die Gebührenbestimmung vorbringen, der Urkundsbeamte prüft insoweit von Amts wegen.[353] § 14 Abs. 1 S. 4 gilt für die Vergütung des beigeordneten oder bestellten Anwalts nicht, da die Einstandspflicht der Staatskasse bei der PKH (§ 45) und die Ersatzpflicht eines Dritten nach einer Kostenauferlegung aufgrund seines Unterliegens im Prozess nicht vergleichbar sind (vgl. auch § 46 Rdn 5 f.).[354]

[353] ThürLSG 18.11.2015 – L 6 SF 1284/15 B; ThürLSG 7.2.2013 – L 6 SF 1883/12 B; LSG Niedersachsen-Bremen 1.7.2015 – L 7/14 AS 7/14 B; LSG Rheinland-Pfalz 30.8.2010 – L 3 SF 6/09 E; SG Nordhausen 27.6.2016 – S 13 SF 2009/14 E; SG Dortmund 16.11.2015 – S 32 SF 135/15 E; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, § 55 Rn 32; OLG Düsseldorf JurBüro 1982, 871; so im Erg. auch LSG NRW 28.5.2013 – L 9 AS 142/13 B.
[354] ThürLSG 18.11.2015 – L 6 SF 1284/15 B; ThürLSG 7.2.2013 – L 6 SF 1883/12 B; LSG Niedersachsen-Bremen 1.7.2015 – L 7/14 AS 7/14 B; LSG Rheinland-Pfalz 30.8.2010 – L 3 SF 6/09 E; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, § 55 Rn 32; Vgl. auch OLG Köln JurBüro 1996, 357 und OLG Düsseldorf JurBüro 1982, 871 zum inhaltsgleichen § 12 Abs. 1 S. 2 BRAGO.

2. Umfang (§ 48 Abs. 4)

 

Rz. 177

Bei der Bestimmung der Vergütungshöhe sind nur die Tätigkeiten des beigeordneten Rechtsanwalts zu berücksichtigen, die er nach Stellung des PKH-Antrags vorgenommen hat. Tätigkeiten, die vor PKH-Antragstellung erfolgt sind, dürfen bei der Beurteilung des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit nicht berücksichtigt werden, § 48 Abs. 4.[355]

3. Anmeldung von Mittelgebühren

 

Rz. 178

Meldet der Anwalt lediglich die Mittelgebühren zur Festsetzung an, so braucht er diese Bestimmung nicht zu begründen, weil sich die Übung herausgebildet hat, eine Vergütung in dieser Höhe als Normalfall anzusehen (vgl. § 47 Rdn 13). Will der Urkundsbeamte niedrigere Beträge festsetzen (siehe Rdn 179), muss er überprüfbar begründen, weshalb er eine normale Entlohnung für völlig übersetzt hält. Andererseits hat der Anwalt glaubhaft darzulegen (Abs. 5 S. 1), dass eine Entlohnung nur in Höhe der Mittelgebühren unbillig wäre, wenn er höhere Beträge von der Staatskasse begehrt. Deren Bestimmung als angemessene Vergütung ist zu begründen. Fehlt entsprechender Vortrag oder sind die ihn tragenden Tatsachenbehauptungen nicht glaubhaft, ist die Bestimmung des Anwalts für das Festsetzungsverfahren unverbindlich.[356] Festzusetzen sind die Mittelgebühren – es sei denn, der Urkundsbeamte hat gemäß den nachstehenden Ausführungen gute Gründe, auch diese als noch übersetzt anzusehen.

4. Toleranzgrenze bei der Gebührenbestimmung

 

Rz. 179

Kommt der Anwalt seiner Darlegungslast nach, indem er die Bestimmung von Beträgen oberhalb der Mittelgebühren auf glaubhaftes tatsächliches Vorbringen stützt, scheidet eine niedrigere Festsetzung in der Regel aus, auch wenn der Urkundsbeamte fehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, die Fakten tragen die Erhöhung nicht.[357] Das Bestimmungsrecht des Anwalts nach § 14 Abs. 1 S. 1 enthält einen Beurteilungsspielraum, den auszufüllen der Entscheidungskompetenz des Anwalts unterliegt. Deshalb braucht die Höhe der von ihm bestimmten Gebühren dem Urkundsbeamten lediglich als (noch) vertretbar zu erscheinen. An dieser Voraussetzung fehlt es nach allgemeiner Meinung erst dann, wenn die vom Anwalt bestimmten Beträge um mehr als 20 % über den Beträgen liegen, die das Gericht[358] als angemessen erachtet.[359] Abweichungen bis einschließlich 20 % liegen noch innerhalb des Toleranzbereichs, den die Staatskasse als nicht unbillig hinnehmen muss.[360]

 

Rz. 180

Aus der Toleranzgrenze von 20 % folgt allerdings nicht, dass die Mittelgebühr in der Weise mit dem Ermessensspielraum des Rechtsanwalts nach § 14 Abs. 1 S. 1 verbunden ist, dass der Rechtsanwalt berechtigt ist, die Mittelgebühr ohne weitere Begründung um 20 % zu erhöhen. Die Mittelgebühr ist in den ihr zugeordneten durchschnittlichen Fällen als ein fester, vom Rechtsanwalt nicht zu überschreitender Wert zu verstehen. Die Überschreitung der Mittelgebühr ist nur nach näherer Begründung anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls zulässig, nicht aber unter Hinweis auf die Toleranzgrenze von 20 %. Wäre es dem Rechtsanwalt gestattet, bei der Gebührenbestimmung auch in durchschnittlichen Fällen immer um bis zu 20 % über die Mittelgebühr hinauszugehen, würde die Mittelgebühr durch eine um 20 % erhöhte Gebühr abgelöst werden.[361]

[357] OLG Düsseldorf JurBüro 1982, 871; OLG Saarbrücken JurBüro 1982, 714.

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